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Das Poldermodell

Zu Beginn ein kurzer Überlbick über den gesamten Artikel als Zusammenfassung. Im Anschluss daran folgt die ausführliche Version.

Ausgangssituation: hohe Arbeitslosenquote (14 %), Haushaltsdefizit von ca. 9, 5 % des BIP

 Abkommen von Wassenaar 1982 der Sozialpartner als Grundstein für weitere Reformen

 Gesamtwirtschaftlicher Ansatz, d. h. die Koordination von Arbeitsmarkt-, Fiskal- und Sozialpolitik:

Ziele waren deshalb:Konsolidierung des öffentlichen Haushalts einschließlich Einschnitten bei den Sozialversicherungen (Kürzung von 80 % auf 70 % des letzten Lohns)Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch SteuererleichterungenBeschäftigungsförderung

Die Beschäftigungspolitik seit 1982, auf die Sich Gewerkschaften, Wirtschaftsvertreter und Regierung einigten, zielte auf eine bessere Verteilung der vorhandenen Arbeit: Die Gewerkschaften stimmten geringeren Lohnerhöhungen zu, die Wirtschaft verpflichtete sich, verstärkt Teilzeitstellen zu schaffen, die Regierung startete ein Programm zur Frühpensionierung

Lohnzurückhaltung, um die Lohnstückkosten zu senken und damit steigender Inflation Einhalt zu gebieten, die zu einer Angleichung der Löhne führen würden.

Kürzung der Beamtenbezüge und Einfrieren des Mindestlohns über 10 Jahre.

Bei gleichzeitiger Senkung der Steuern konnte dabei die Binnennachfrage erhalten bleiben

Arbeitszeitverkürzung/Förderung von Teilzeitarbeit. Als Ausgleich für die Lohnmäßigung Verkürzung der regulären Wochenarbeitszeit. Teilzeitbeschäftigte sind hinsichtlich der Alterssicherung Vollzeitbeschäftigten weitestgehend gleich gestellt (funktionierende Grundsicherung im Alter). Ein Grund, warum die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit viel genutzt wird. Mit ca. 37 % Teilzeitquote vergleichsweise hoch, allerdings zählen auch geringfügig Beschäftigte (weniger als 12 Std./Woche) als Teilzeitbeschäftigte. Die Durchschnittsarbeitszeit der NiederländerInnen liegt bei 31 Std./Woche. Insbesondere Frauen nutzten die Möglichkeit zur Teilzeit. (Zuvor waren Frauen kaum am Erwerbsleben beteiligt). Dadurch stieg das Einkommen von Mehrpersonenhaushalten.

Ist kein weiteres Einkommen vorhanden, kann geringfügige Teilzeitbeschäftigung zu Armut führen, die ergänzende Sozialhilfe notwendig macht. 

Stärkere Flexibilität:Stärkung der rechtlichen Position von Zeitarbeitsfirmen, die Arbeitskräfte flexibel an Firmen vermietenNach drei Jahren Zeitarbeit in einem Unternehmen, muss der Arbeitnehmer in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen werden

 Allerdings werden viele Arbeitnehmer wieder arbeitslos

 Arbeitsplatzunsicherheit führt dazu, dass weniger in das Arbeitsverhältnis investiert wirdArbeitsplatzunsicherheit stellt zudem einen erheblichen Stressfaktor dar

Gesetze über Flexibilität im Lebenszyklus: Gesetz über Arbeit und Pflege:Möglichkeit, 10 Tage im Jahr für die Pflege eines Familienangehörigen freigestellt zu werden bei 70 % des GehaltsFreistellung in Notfällen bei voller Gehaltsfortzahlung für die Zeit, die benötigt wird, zur ersten Behebung der NotlageGesetzlicher Anspruch auf 13 Wochen unbezahlten Elternurlaub je Kind, bis zur Erreichung des 8. LebensjahresAnhäufung von Freistellungszeiten: 10 % des Bruttojahresgehalts  und/oder eine entsprechende Arbeitsstundenanzahl können angespart werden, um eine Abwesenheit von bis zu 12 Monaten zu finanzierenBeihilfe für die Finanzierung von Berufsunterbrechungen, wenn mindestens 12 Monate im Arbeitsverhältnis und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch einen Sozialhilfeempfänger ersetztArbeitgeber muss den Bitten von Arbeitszeitverkürzung- oder Verlängerung nachkommen, es sei denn wichtige Geschäftsangelegenheiten hindern ihn daran (gilt für Betriebe mit mehr als 10 MitarbeiterInnen)Verweigerung aufgrund wichtiger Geschäftsinteressen möglichTarifverträge können abweichende Vereinbarungen treffen

Gesellschaftliche Faktoren: Konsens darüber, dass Maßnahmen notwendig sind. Organisation der Interessenvertretung in der „Stiftung für Arbeit“ und dem „Sozial-ökonomischen Rat“ (Arbeitgeber, Arbeitnehmer und von Regierung ausgewählte Experten) und gegenseitiges Vertrauen 

Besonders in den 80er Jahren: Reduzierung des Arbeitsangebots durch Vorruhestandsregelungen und Erwerbsunfähigkeitsrente

Beschäftigungswunder?

Die Anzahl der Beschäftigten stieg und die Arbeitslosigkeit konnte erheblich gesenkt werden und die offiziellen Zahlen liegen bei 6 %. Die Anzahl der gesamten Arbeitsstunden hat sich dabei aber nicht wesentlich verändert, sondern die vorhandene Arbeit wurde auf mehr Beschäftigte verteilt. Hinzu kommt, dass in den Niederlanden auch geringfügig Beschäftigte als Teilzeitkräfte gelten und nicht zu den Arbeitslosen zählen. Ein weiterer Teil der Menschen im erwerbsfähigen Alter bezieht Leistungen aufgrund von Arbeitsunfähigkeit (z. B. Vorruhestandspension) und ist somit künstlich dem Arbeitsmarkt entzogen auf Kosten der Allgemeinheit. Zählt man die Personen, die arbeiten, so sind dies in den Niederlanden 49,5 % und in Deutschland 48 % (1998), der Unterschied wird also nivelliert. 

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

1    Einleitung_
1.1    Relevanz für die Soziale Arbeit_
1.2    Das Poldermodell
1.2.1    Kulturell-historischer Hintergrund
1.2.2    Ausgangssituation
1.2.3    Abkommen von Wassenaar
1.2.4    Wirtschaftspolitik2    Arbeitsmarktpolitik
2.1    Die Aspekte der Arbeitsmarktpolitik des Poldermodells im Einzelnen
2.1.1    Lohnverzicht
2.1.2    Teilzeitarbeit
2.1.3    Flexibilisierung_
2.1.3.1    Zeitarbeitsfirmen
2.1.3.2    Subventionierte Jobs (so genannte „Melkert-Jobs“)
2.1.3.3    Lebenszyklische Maßnahmen
3    Sozialversicherung/Sozialreformen 3.1    Privatisierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
3.2    Exkurs: Reform der Arbeitsverwaltung und -vermittlung4    Gesellschaftliche Faktoren
5    Die Entwicklung des Arbeitsmarkts
5.1    Bewertung der Maßnahmen

5.1.1    Entwicklung der Beschäftigung
5.1.2    Ermittlung der Arbeitslosenquote
5.1.3    Zahl der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu Deutschland
5.2    Kritische Aspekte
6    Neuauflage des Poldermodells 2003
6.1    Weitere Probleme, die es zu lösen gilt
6.2    Aktuelle politische Maßnahmen
7    Zusammenfassung der Ansätze der Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden 
8    Die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse
8.1    Strukturelle und institutionelle Differenzen
8.2    Bedeutung für Deutschland: Lohnzurückhaltung
8.3    Teilzeitarbeit
9    Zusammenfassung
10  Literatur


 1         Einleitung

Viele europäische Länder sehen sich mit wachsenden Arbeitslosenzahlen konfrontiert. In Deutschland liegt die Arbeitslosenquote zurzeit bei ca. 9 % (Statistisches Bundesamt, 2006) der Erwerbspersonen (teilweise wird die Erwerbslosenquote auch mit 10, 5 % der Erwerbsbevölkerung beziffert [vgl. Statistische Ämter, 2004]). Besonders in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde häufig zu den Niederländern geschaut, die es vom „arbeitspolitischen Pflegefall“ zum „Beschäftigungswunder“ schafften (vgl. Tálos, 2002, S. 125). Insofern scheint es interessant zu erkunden, wie die Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden aussieht, um daraus für die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland zu lernen. Denn obgleich die Arbeitslosenzahl in den vergangenen Jahren wieder leicht angestiegen sind, liegt sie heute dennoch unter der deutschen, nämlich bei ca. 6,5 % (CBS, 2005).

 1.1      Relevanz für die Soziale Arbeit

Aufgabe professioneller Sozialarbeit ist es, zur Lösung sozialer Probleme beizutragen und den sozialen Wandel mitzugestalten (vgl. Mühlum & Godecker-Geenen, 2003, S. 23). Infolge steigender Arbeitslosenzahlen sind SozialarbeiterInnen in fast allen Arbeitsbereichen mit den Problemen von Arbeitslosen und den sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit konfrontiert (vgl. EFH Hannover, 2005/06 S. 54). Um am sozialen Wandel hinsichtlich der Arbeitslosigkeit mitzuwirken und nicht nur die Folgen der Arbeitslosigkeit abzumildern, ist es notwendig, Möglichkeiten zur Verringerung der Arbeitslosigkeit zu schaffen. Denn Soziale Arbeit hat immer auch eine politische Komponente (vgl. Sorg, 2003, S. 79 f.). Um Lösungsvorschläge zu entwickeln, scheint ein Blick zu europäischen Nachbarländern interessant, die die Arbeitslosenzahlen senken konnten und den Sozialstaat reformiert haben

 1.2      Das Poldermodell

Als Polder bezeichnet man ursprünglich das Land, das durch gemeinsame Arbeit dem Meer abgerungen wurde (vgl. Perger, 2004, S. 1). Der Begriff „Poldermodell“ ist als Metapher zu verstehen für unterschiedliche wirtschaftspolitische Maßnahmen, die auf kulturelle und institutionelle niederländische Eigenheiten zurückzuführen sind (Gebbink, 2003). Daher ist das Poldermodell kein Modell im eigentlichen Sinne, sondern kann vielmehr verstanden werden als Dialog und Kompromissbereitschaft zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und unabhängigen Vertretern der Regierung.

 

Unter dem Begriff Poldermodell werden also politische Strategien zusammengefasst, die unter verschiedenen Regierungen zustande kamen und von  unterschiedlichen Interessengruppen getragen wurden (Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Regierung). Somit ist das Poldermodell ein Patchwork zahlreicher Maßnahmen. Dazu zählen eine Reihe von Reformmaßnahmen der Wirtschafts-, Sozial-, Arbeits- und Finanzpolitik, die seit 1982 durchgeführt wurden (vgl. Kleinfeld, 1999, S. 2). In der vorliegenden Arbeit geht es jedoch primär um Arbeitsmarktpolitik. Deshalb konzentriere ich mich auf die Aspekte des  Poldermodells, die für den Arbeitsmarkt bedeutsam sind.

 

Um nachzuvollziehen, vor welchem Hintergrund die Reformen entstanden, die zum beschäftigungspolitischen Erfolg führten, wird im Folgenden zunächst kurz der geschichtliche Rahmen umrissen. Daran anschließend werden die einzelnen Aspekte der Arbeitsmarktpolitik – Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung, Teilzeitarbeit und gesellschaftliche Aspekte - erläutert und ihre Auswirkungen diskutiert. Beispielhaft sollen einige Sozialreformen und die Umstrukturierung der Arbeitsverwaltung beschrieben werden, da sie auch für die Diskussion zu Reformen in Deutschland interessant scheinen. Abgeschlossen wird der erste Teil der Arbeit mit einem zusammenfassenden Fazit und der aktuellen Situation in den Niederlanden. Daran schließt sich ein Kapitel an, in dem die Bedeutung und mögliche Übertragung des Poldermodells auf die deutschen Verhältnisse diskutiert wird.

 1.2.1      Kulturell-historischer Hintergrund

Die Niederlande haben eine Tradition, in der sich die Einzelinteressen dem Gemeinwohl unterordnen. Außerdem spielt der Konformismus, die Anpassung zum Wohl der Allgemeinheit, ein größere Rolle als hierzulande. Die Politik in den Niederlanden ist ferner geprägt durch eine Konsens-Kultur, d. h. dem Bemühen trotz Unterschieden zu einer gemeinsamen Lösung zu finden. Auch die Kompromissbereitschaft zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Politik ist relativ groß und wird durch den institutionalisierten Dialog z. B. in der „Stiftung für Arbeit“ und dem „Sozialökonomischen Rat“ (Sociaal economische Raad) verwirklicht (Dragasta & Osse, 2003). Diese politische Kultur war auch für die Verabschiedung der hier vorzustellenden Reformen relevant.

 1.2.2      Ausgangssituation

Ausgangspunkt für die Reformen und Maßnahmen, die wir heute unter dem Begriff Poldermodell zusammenfassen, war eine Wirtschaftskrise in den Niederlanden Anfang der 1980er Jahre infolge des Ölpreis-Schocks. Diese war verbunden mit rasant ansteigender Arbeitslosigkeit (bis auf ca. 14 %) und einer Staatsverschuldung von 9 % des Bruttoinlandprodukts, BIP (Schild, 2005, S. 5).

 1.2.3      Abkommen von Wassenaar

Als Grundlage für weitere Reformen gilt das Abkommen von Wassenaar von 1982. Das Abkommen verwirklichte die Vorschläge der Stiftung für Arbeit.  Ziel dieses Abkommens war die Verbesserung der Beschäftigungslage. Um dies zu erreichen, sollte das Wirtschaftswachstum wiederhergestellt werden, das Preisniveau stabilisiert und die Konkurrenzfähigkeit der Niederländischen Unternehmen durch höheren Ertrag verbessert werden (Doorne, 2001).

 

Der Inhalt des Abkommens bestand im Wesentlichen aus folgenden Punkten:

-         Zurückhaltung bei den CAO-Löhnen (Tariflöhne) zur Senkung der Lohnstückkosten

-         Stärkere Flexibilität (Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, Teilzeitstellen, Frühverrentung) (Paridon, 2004, S. 398 f., Schild, 2005, S. 4).

-         Ermöglicht wurden diese Vereinbarungen durch „Tauschgeschäfte“ (Lohnzurückhaltung gegen moderate Arbeitszeitverkürzung sowie Lohnzurückhaltung gegen Steuersenkungen (vgl. Hemerijk & Visser, 1998, S. 33)

 1.2.4      Wirtschaftspolitik

Aufbauend auf das Wassenaar-Abkommen verfolgte die Regierung zur Verbesserung der Beschäftigungslage seit 1982/83 einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz. Ziele waren:

-         die Konsolidierung des Staatshaushaltes einschließlich Einschnitten bei den Sozialversicherungen/Sozialreformen

-         Senkung der Gesamtsteuerbelastung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit niederländischer Unternehmen und zum Erhalt der Kaufkraft bei Lohnzurückhaltung

-         Beschäftigungsförderung (Paridon, 2004, S. 398 f.)

 2         Arbeitsmarktpolitik

Die Beschäftigungspolitik im engeren Sinne konzentrierte sich seit 1983 über zwei Jahrzehnte hinweg überwiegend auf folgende Punkte, die u. a. auf eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit zielten:

-         Lohnverzicht/-zurückhaltung und

-         Flexibilität (Teilzeitarbeit, Zeitarbeitsfirmen, lebenszyklische Maßnahmen), die durch

-         Gesellschaftliche Faktoren (Ehlert, 2005, Tálos, 2002, S. 125) ermöglicht wurden.

 

Die beschriebenen Aktionen bilden zusammen mit Steuersenkungen und Akzentverschiebungen im Bereich der Sozialversicherungen die Wegmarken des Poldermodells (Tálos, 2002, S. 125).

 2.1      Die Aspekte der Arbeitsmarktpolitik des Poldermodells im Einzelnen 2.1.1      Lohnverzicht

Es wurde beabsichtigt, durch Lohnmäßigung die Wettbewerbsfähigkeit der niederländischen Unternehmen im internationalen Vergleich zu steigern. Dazu wurden die Tariflöhne zunächst für 10 Jahre eingefroren, d. h. nicht verändert und 1994 erneut auf einem fixen Niveau festgeschrieben. Durch die damit verbundene Senkung der Lohnstückkosten sollte insbesondere die Inflation vermindert werden, die eine erneute Anpassung (Erhöhung) der Löhne an die Inflation zur Folge gehabt hätte. Damit konnte der Kreislauf aus Lohnerhöhung, steigender Inflation und erneuter Lohnanpassung durchbrochen werden. Im Gegenzug dazu wurde die reguläre Wochenarbeitszeit verkürzt und Teilzeitarbeit gefördert (Ehlert, 2005).

 

Durch Steuersenkungen und niedrige Zinsen konnte trotz Lohnzurückhaltung die Kaufkraft weitestgehend erhalten bleiben (Delsen, 2001). Allerdings besteht in einzelnen Bereichen seit einigen Jahren Arbeitskräftemangel, so dass Lohnzurückhaltung nicht mehr durchgesetzt werden kann, denn die Arbeitgeber finden zu geringen Löhnen kein qualifiziertes Personal mehr (vgl. Niederländisches Positionspapier zur Frühjahrstagung 2005 des europäischen Rates, S. 6, Roser, 1999, S.3).

 2.1.2      Teilzeitarbeit

Durch Förderung von Teilzeitarbeit sollte die vorhandene Arbeit auf mehr Personen umverteilt werden. Um dies umzusetzen, wurden Teilzeitkräfte gegenüber Vollzeitbeschäftigten annähernd gleich gestellt, z. B. durch eine funktionierende Grundsicherung im Alter (Koch, 2003, S. 21). Die gezielte Förderung der Teilzeitarbeit führte dazu, dass heute in den Niederlanden 37 % (Roser, 1999, S. 2) der Arbeitsplätze Teilzeitstellen sind. So beträgt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lediglich 32 Stunden (vgl. Roser, 1998, S. 2). Allerdings werden in den Niederlanden auch geringfügige Arbeitsverhältnisse – die in Deutschland in gar keiner Statistik auftauchen – als Teilzeitstellen gerechnet (vgl. Werner, 1998, S. 15).

 

Die Teilzeitarbeitsplätze wurden überwiegend von Frauen besetzt, die zuvor kaum am Erwerbsleben beteiligt waren. Durch die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen – sie waren bis 1980 wesentlich weniger am Erwerbsleben beteiligt als in anderen europäischen Ländern – stieg das Nettoeinkommen von Mehrpersonenhaushalten von 1983 bis 1996 um 8%. Das Einkommen von Einpersonen- und Alleinverdienerhaushalten blieb jedoch – gemessen in konstanten Preisen – nahezu gleich (vgl. Delsen, 2000, S. 122). Möglich war die Ausweitung von Teilzeitstellen nur dadurch, dass sie von der Bevölkerung auch angenommen wurden.

 

Allerdings ergaben sich durch die geringfügige Teilzeitarbeit auch einige Probleme, z. B. der Zusammenhang von geringfügiger Teilzeitjobs und der Abhängigkeit von Sozialhilfe:

Bei den geringfügigen Teilzeitbeschäftigungen besteht die Gefahr von Armut, wenn kein weiteres Einkommen in der Familie vorhanden ist. Das führt dazu, dass geringfügig Beschäftigte häufig zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen sind. (Delsen, 2000, S. 127).

 2.1.3      Flexibilisierung

Neben der Ausweitung von Teilzeitstellen wurden weitere Maßnahmen zur Flexibilisierung durchgeführt. Stärkere Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen sollte ermöglichen, dass überhaupt Arbeitskräfte eingestellt werden – wenn auch nur kurzfristig (vgl. Delsen, S. 127) und Arbeitsverhältnisse insgesamt flexibler gestaltet werden.

 2.1.3.1  Zeitarbeitsfirmen:

Flexarbeitsfirmen vermieten Arbeitskräfte flexibel an Unternehmen. So arbeiteten 1999 fast 2 Mio. Niederländer/innen in Zeitarbeitsfirmen. Das sind zwischen 9 und 13 % der Erwerbstätigen (vgl. Ehlert, 2005).

 

Zur Stärkung der Position von Zeitarbeitskräften trat 1999 das „Gesetz über Flexibilität und Sicherheit“ in Kraft. Danach muss ein flexibles Arbeitsverhältnis nach drei Jahren in einem Unternehmen in ein reguläres Arbeitsverhältnis umgewandelt werden. Dasselbe gilt, wenn der/die Arbeitnehmer/in innerhalb von drei Jahren dreimal für das gleiche Unternehmen gearbeitet hat. Zwar konnte durch das Gesetz die Sicherheit für so genannte „Flexarbeiter“ gestärkt werden. Allerdings führte es auch dazu, dass längst nicht mehr so viele flexible Arbeitsverhältnisse entstanden sind oder Arbeitskräfte wieder vor Ablauf der Dreijahresfrist entlassen wurden. Das Gesetz gilt übrigens auch für Zeitarbeitsfirmen. Sie gelten ebenfalls als reguläre Arbeitgeber (Niederländisches Konsulat, 2003).

 2.1.3.2  Subventionierte Jobs (so genannte „Melkert-Jobs“)

Bei vielen der oben genannten flexiblen Beschäftigungsverhältnisse handelt es sich um staatlich subventionierte Jobs (nach dem damaligen Minister Melkert benannt). Man unterscheidet dabei zwischen verschiedenen Formen der subventionierten Beschäftigung:

-         die Melkert-I-Jobs sind Niedriglohnjobs im öffentlichen Sektor

-         die Melkert-II-Jobs beinhalten staatliche Lohnzuschüsse für Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose einstellen (vgl. Oorschot, 2000, S. 331)

-         Melkert-III-Jobs sind gemeinnützige, unbezahlte oder ehrenamtliche Tätigkeiten, die vom Sozialamt vermittelt werden, um die Integration von Langzeitarbeitslosen zu fördern (Valkenburg & Coenen, 2000, S. 557).

 

Die subventionierten Jobs bewirken, dass Arbeitslose aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden.

 

Insgesamt ist zu sehen, dass die Mehrzahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze marginale und prekäre Jobs sind, die sehr konjunkturempfindlich sind und bei leichteren konjunkturellen Schwierigkeiten als erstes wieder wegfallen. Dies mussten die Niederlande in den letzten Jahren erleben, in denen die Arbeitslosenquote wieder leicht anstieg. Dennoch ist sie nach wie vor  niedriger als in Deutschland. Viele Zeitarbeitskräfte werden auch nach kurzer Zeit wieder arbeitslos. Zudem enthalten die Arbeitsverträge tendenziell ungünstige Arbeitsbedingungen. Dies führt zu einer Segmentierung innerhalb der Gruppe der Arbeitenden: „Flexarbeiter“ gelten als zweitklassiges Personal, in deren Bildung dementsprechend weniger investiert wird, denn die Investition zahlt sich langfristig nicht aus, wenn der Flexarbeiter wieder entlassen wird. 

 2.1.3.3  Lebenszyklische Maßnahmen

Auf stärkere Flexibilität von Arbeitsverhältnissen im Allgemeinen zielen die lebenszyklischen Maßnahmen. Hier sind in den vergangenen Jahren einige Gesetze entwickelt worden, die überwiegend in das Gesetz über Arbeit und Pflege integriert wurden.

Hier ist zu nennen

-         das Gesetz über Flexibilität von Arbeitsstunden. Es trat am 01.07.2000 in Kraft und gilt für Betriebe mit mehr als zehn Angestellten. Es ermöglicht es ArbeitnehmerInnen mehr oder weniger Wochenstunden zu arbeiten. Arbeitgeber müssen der Bitte um mehr oder weniger Stunden nachkommen, sofern dies nicht wichtige Geschäftsangelegenheiten verhindern.

-         das Gesetz über Arbeit und Pflege. In ihm sind folgende Ansprüche geregelt:

o       Zehntägige Freistellung für die Pflege: bis zu zehn Tage pro Jahr können ArbeitnehmerInnen bei 70 % des letzten Gehalts frei nehmen, um ein krankes Kind, einen Partner oder einen Elternteil zu pflegen. Arbeitgeber werden für die Kosten der Entgeltfortzahlung staatlich entschädigt. Aufgrund wichtiger geschäftlicher Interessen kann die Freistellung verweigert werden. Tarifvereinbarungen können abweichende Regelungen beinhalten.

o       Freistellung in Notfällen. In Notfällen (z. B. Wasserrohrbruch) muss der Arbeitgeber das Gehalt für die Zeit fortsetzen, die benötigt wird, um erste Maßnehmen zur Behebung einzuleiten. Die Pflegfreistellung erfolgt zusätzlich. Auch hier können Tarifvereinbarungen andere Regelungen treffen.

o       Freistellung für die Adoption Um ein Kind zu adoptieren, haben ArbeitnehmerInnen einen Anspruch auf vier Wochen bezahlten Adoptionsurlaub. Beide Eltern können den Urlaub beanspruchen. Pflegeeltern sind ebenfalls berechtigt, vier Wochen frei zu nehmen, wenn fest steht, dass das Pflegekind längere Zeit in der Familie bleiben wird.

o       Unbezahlter Elternurlaub. Zusätzlich zum Mutterschaftsurlaub besteht ein gesetzlicher Anspruch auf 13 Wochen (bei Vollzeitbeschäftigten und ein entsprechender Anteil auch bei TeilzeitarbeiterInnen) unbezahlten Elternurlaubs. Der Elternurlaub kann bis zum 8. Lebensjahr des Kindes genommen werden. Für jedes Kind (auch bei Mehrlingsgeburten) besteht ein unabhängiger Anspruch.

-         Das Gesetz über Finanzierung von Berufsunterbrechungen. Es ermöglicht ArbeitnehmerInnen, ihre Arbeit zeitweise für Fortbildungen oder zur Pflege von Familienangehörigen zu unterbrechen. Eine Beihilfe kann beantragt werden, wenn das Arbeitsverhältnis seit mindestens 12 Monaten besteht und während diesem Zeitraum keine Beihilfe beantragt wurde. Die Freistellung muss ferner ein Drittel der Arbeitszeit betragen und der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer durch eine arbeitslose Person ersetzen.

-         Das Gesetz über die Anhäufung von Freistellungszeiten – in Kraft getreten am 1.1.01 – gibt ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit bis zu 10 % des Bruttogehalts und/oder eine entsprechende Anzahl von Arbeitsstunden anzusparen. Damit kann eine Abwesenheit von bis zu 12 Monaten finanziert werden. Bis auf vorzeitige Pensionierung unterliegt die Freistellung keinerlei Einschränkungen.

(zu den Gesetzen vgl. Europäische Kommission, 2002)

 

Die erwähnten Gesetzte kommen besonders Familien zugute, aber auch andere ArbeitnehmerInnen können davon profitieren. Allerdings ist zu beachten, dass in Tarifverträgen für einzelne Branchen abweichende Vereinbarungen festgelegt werden können, so dass sie nicht für alle Angestellten gelten. Es steht jedoch auch damit ganz im Trend der Flexibilität, dass eben auch flexible Ausnahmen ermöglicht werden!

 3         Sozialversicherung/Sozialreformen

Um das Haushaltsdefizit zu verringern und Steuersenkungen zu finanzieren, wurden die meisten Sozialleistungen bereits mit dem Abkommen von Wassenaar von 80 auf 70 % des letzten Lohns herabgesetzt (vgl. Paridon, 2004, S. 399). Außerdem wurde in den 90er Jahren verstärkt die Leistungsberechtigung eingegrenzt: „Eingrenzung statt Ausgrenzung“. Ferner wurde eine Akzentverschiebung vollzogen von der lange Jahre eher passiven Arbeitsmarktpolitik (d. h. die Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit) hin zu aktivierenden Maßnahmen („Arbeit vor Einkommen“) (vgl. Tálos, 2002, S. 125). In diese Richtung zielt auch die Reform der Arbeitsverwaltung, die weiter unter beschrieben wird.

 3.1      Privatisierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Als Beispiel für die Einsparungen im Bereich der Sozialversicherungen soll hier die Privatisierung des Krankengeldes genannt werden. Durch die Privatisierung der Sozialversicherung sollten die Kosten gesenkt und der Wettbewerb gesteigert werden. Es wird davon ausgegangen, dass private Versicherer schneller und kostengünstiger arbeiten, als Betriebsvereinigungen (Handelsblatt, 1998).

 

So wurde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1996 privatisiert. Neben der Kostensenkung war es ein Ziel, die Arbeitgeber zu motivieren, gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen, da sie im Krankheitsfall für die Lohnfortzahlung aufkommen müssen (bis zu 52 Wochen, 70 % des Gehalts). Dieses Risiko können die Firmen bei privaten Versicherungen absichern. Als Ausgleich dazu wurden die Unternehmen steuerlich entlastet (vgl. Koch, 2003, S. 20 f).

 

Allerdings führte die Privatisierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die vorher von den Kassen getragen wurde dazu, dass sich die Chancen für kranke und behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt deutlich verschlechterten. Denn die Arbeitgeber werden von vornherein darauf achten, dass sie möglichst gesunde Arbeitnehmer/innen einstellen, da sie diese bei Krankheit weiter finanzieren müssen. Somit führte die Einführung des Gesetzes zu einer deutlichen Benachteiligung kranker und behinderter Menschen am Arbeitsmarkt (Koch, 2003, S. 20, Oorschot, 2000, S. 331).

 3.2      Exkurs: Reform der Arbeitsverwaltung und -vermittlung

Ein kurzer Exkurs zur Reform der Arbeitsverwaltung soll als weiteres Beispiel für Sozialreformen vorgestellt werden, das die Arbeitsvermittlung vereinfachen und vereinheitlichen sollte. Zum 1. Januar 2002 wurde die Arbeitsverwaltung in den Niederlanden grundlegend reformiert (Bruttel, 2005, S. 6). Mit dem „Centrum Werk en Inkomen“ (CWI), dem Zentrum für Arbeit und Einkommen, wurde eine zentrale Anlaufstelle für alle Arbeitssuchenden geschaffen, damit sie sich nur noch an eine Stelle wenden müssen. Als „One-Stop-Shop“ (Ein-Schalter-Struktur) können sich alle Arbeitssuchenden melden und gleichzeitig Sozialhilfe beantragen. Die Verknüpfung von Arbeitsvermittlung mit öffentlichen Sozialleistungsstellen soll die Effizienz erhöhen. Zudem wurde mit der Reform beabsichtigt, dass sich die einzelnen Träger nicht mehr gegenseitig ihre Klienten zuschieben. Alle Bezieher von Arbeitslosengeld oder –Hilfe, Arbeitsunfähigkeitsrente oder Sozialhilfe haben nun Anspruch auf Leistungen und Unterstützung und werden dann entsprechend ihrer Leistungsansprüche weitergeleitet (Bruttel, 2005, S. 4). Der Gesetzgeber versprach sich damit, das System – im Vergleich zu der vorherigen Zersplitterung – besser steuern zu können. Zudem wurde mit der Reform beabsichtigt, dass sich die einzelnen Träger nicht mehr gegenseitig ihre Klienten zuschieben.

 

Das CWI sammelt die Daten zur Ermittlung des Sozialleistungsanspruchs– für die Auszahlung der Leistungen sind jedoch weiterhin die Kommunen zuständig (Konle-Seidel, 2005, S. 2). Das CWI überprüft die Vermittlungsaussichten der „Kunden“. „Marktnahe“ Kunden werden direkt in eine Bewerberdatenbank aufgenommen und können sich selbst über freie Stellen informieren. Diejenigen Antragsteller, von denen nicht erwartet wird, dass sie in den nächsten sechs Monaten weitestgehend ohne Hilfe wieder in Arbeit finden, werden an private Anbieter weitergeleitet. Die Vergütung der privaten Arbeitsvermittlungsagenturen erfolgt erfolgsabhängig (Bruttel, 2005, S. 5). Das CWI bietet des weiteren Hilfe in Form aktiver Arbeitsvermittlung sowie Bewerbungstraining. Auch Reintegrationsprogramme werden angeboten.

Weiter bieten die CWI eine Plattform, an der Betroffenen Parteien (Arbeitssuchende, Arbeitgeber) zusammenkommen (IAB, 2002).

 4         Gesellschaftliche Faktoren

Vorraussetzung für gemeinschaftlich getragene Reformen ist ein Konsens darüber, welche Maßnahmen notwendig sind. Dazu wird in den Niederlanden seit den 80er Jahren immer wieder eine „aktive Kompromiss-Suche“ (Kleinknecht, 1999, S. 12) zwischen den Interessengruppen praktiziert, um einen Konsens zu finden.  Dieser „ist tatsächlich ein Markenzeichen der holländischen Gesellschaft und Politik“ (Hemerijk, Visser, 1998, S. 23). Die Art und Weise, in der der soziale Dialog durchgesetzt wird, erhöht die soziale Akzeptanz. Des Weiteren gibt es eine hohe Bereitschaft, für das Wohl der Allgemeinheit Opfer zu bringen (vgl. Butter & Hazeu, 2003, S. 41). Die Wirtschaft entwickelte sich auch deshalb positiv, weil Arbeitszeitverkürzungen, Verzicht auf Lohnausgleich für Überstunden, Teilzeitstellen und flexible Arbeitsverhältnisse von der Bevölkerung angenommen wurden (vgl. Kleinknecht, 1999, S. 13).

 

Der spezielle, korporatistische Verhandlungsstil der Niederlande ermöglichte zudem längere Planungszeiträume und einvernehmliche Lösungen für verschiedene Interessengruppen. Dieser Problemlösungsstil fördert das gegenseitige Vertrauen und basiert auf einer stabilen Bindung der Verhandlungsparteien (Hemerijck & Visser, 1998, S. 95).

 5         Die Entwicklung des Arbeitsmarkts

5.1      Bewertung der Maßnahmen

Welche der beschriebenen Maßnahmen es waren, die letztlich ausschlaggebend für den Erfolg waren, ist in der Literatur umstritten. Auch wird diskutiert, inwieweit überhaupt von einem Erfolg gesprochen werden kann, denn in den vergangenen Jahren mehren sich die kritischen Stimmen. Welche Entwicklungen direkt auf die ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnehmen zurückzuführen sind und welche Effekte einer allgemein günstige wirtschaftliche Situation zuzuschreiben ist, wird unterschiedlich bewertet. Delsen (2000) zufolge ist der Verlauf mehr auf günstige Umständen zurückzuführen denn auf die ergriffenen wirtschafts- und sozialpolitischen Instrumente Es ist eindeutig, dass die Zahl der Erwerbstätigen seit 1982 stetig zugenommen hat und stärker an das Wirtschaftswachstum gebunden war als in Deutschland. Dabei beruht der Anstieg der Erwerbstätigen vor allem auf einem Umverteilungseffekt der vorhandenen Arbeit, denn die Stellen gemessen in Stunden haben sich kaum verändert (Werner, 1998, S 88 f). Als entscheidend für die Zunahme von Arbeitsplätzen wird die Teilzeitarbeit angesehen, die vor allem von Frauen genutzt wurde (vgl. Hemerijck & Visser, 1998, S. 33).

 5.1.1      Entwicklung der Beschäftigung

Wie sah nun die Entwicklung der Arbeitsplätze aus? Das Beschäftigungswachstum stieg nicht sofort nach dem Abkommen von Wassenaar. Zwischen 1982 und 1986 stieg die Zahl der Arbeitskräfte lediglich um 0, 8 % pro Jahr. Danach erst kann von einer deutlichen Zunahme gesprochen werden und erst ab Mitte der 90er Jahre stieg die Zahl der Erwerbstätigen um durchschnittlich 2,9 %. Der deutliche Anstieg der Beschäftigungsverhältnisse Ende der 90er Jahre ist vor allem auf die stark wachsenden Teilzeitstellen und flexiblen Arbeitsverhältnisse zurückzuführen (Gebbink, 2003a). Je nach Quelle und Definition wird die Zahl der Teilzeitstellen mit  bis zu 42 % aller Beschäftigungen beziffert (Gebbink, 2003b).

 

In den vergangenen Jahren ist die Beschäftigung wieder leicht zurückgegangen. Offiziellen Statistiken zufolge liegt sie derzeit bei ca. 6 % (CBS, 2005), nachdem sie zwischenzeitlich bei 3,5 % (CBS, 2001) lag.

 5.1.2      Ermittlung der Arbeitslosenquote

Allerdings ist bei den Arbeitslosenzahlen zu beachten, dass es unterschiedliche Ansätze zur Ermittlung von Arbeitslosenzahlen gibt. So berücksichtigt das Statistische Zentralbüro (CBS) jene Bezieher von Arbeitslosenunterstützung, die arbeitslos sind und gerne mehr als 12 Stunden/Woche arbeiten möchten. Zudem müssen diese Personen, um in die Arbeitslosenstatistik zu fallen, dem Arbeitsmarkt kurzfristig zur Verfügung stehen und in den vergangenen Wochen aktiv nach Arbeit gesucht haben (CBS, 2005).

 

Rechnet man jedoch einfach die Zahl der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung, wie teilweise die  zentrale Planungsbehörde (CPB) gehandhabt, ergibt sich eine deutlich höhere Arbeitslosenzahl. Würden die Empfänger von Erwerbsunfähigkeitsrente hinzugerechnet, würde sich die Zahl der Erwerbslosen noch einmal erhöhen (NRC Handelsblad, 18.11.99, Friedrich & Wiedemeyer,1998, S. 187).

5.1.3      Zahl der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu Deutschland

Viele der Teilzeitbeschäftigten in den Niederlanden arbeiten weniger als 12 Stunden die Woche, gelten allerdings nicht als arbeitslos. Nahezu ein Drittel der holländischen TeilzeitarbeiterInnen arbeiten weniger als 12 Stunden die Woche. Geringfügig Beschäftigte in Deutschland hingegen werden von gar keiner Statistik erfasst (Kutscher, 2000). 

 
Betrachtet man die Zahl der Erwerbstätigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, so waren 1998 nach Daten des Statistischen Bundesamtes in Deutschland 48 % und in den Niederlanden 49,5 % der Bevölkerung erwerbstätig, die Zahlen unterscheiden sich also kaum. Dies ist trotz wesentlich geringerer Arbeitslosenzahl in den Niederlanden als in Deutschland darauf zurückzuführen, dass in Holland ein Teil der Erwerbstätigen künstlich dem Arbeitsmarkt entzogen wird: So bezogen 1998 ca. 1,7 Mio. Menschen Vorruhestandsleistungen oder Invalidenrenten; gemessen an ca. 6 Mio. Einwohnern eine beträchtliche Zahl. Trotzdem beklagen sich die Niederländer bei gleicher Erwerbsbeteiligung weniger über Unterbeschäftigung (vgl. Kutscher, 2000).

 5.2      Kritische Aspekte

In den vergangenen Jahren mehrten sich wegen leicht ansteigender Arbeitslosenzahlen auch kritische Stimmen. Einige kritische Punkte sollen hier aufgeführt werden:

 

Ø      das Realeinkommen Arbeitsloser sank seit 1980 um 20 %

Ø      der gesetzliche Mindestlohn sank von 65 % auf 51 % des durchschnittlichen Lohns

Ø      die Zahl der Familien, die unterhalb der Armutsgrenze leben, hat zugenommen

Ø      die befristeten Stellen haben sich verdoppelt, obgleich 2/3 der Bevölkerung eine feste Stelle bevorzugen

Ø      während der ersten sechs Jahre nach der Einführung des Modells stiegen die Löhne um durchschnittlich 1 % während die Gewinne der Unternehmen um 200 % zunahmen

Ø      Das Lohnniveau lag 1999 20% unter dem deutschen (vgl. Goddar, 1999, S.)

Ø      Es gibt einen beträchtlichen Anteil von Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt ausgegliedert sind (z. B. Erwerbsunfähige, Frührentner), d. h. ein unausgewogenes Verhältnis von aktiver und inaktiver Bevölkerung

Ø      Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse (Zeitarbeit) (vgl. Schild, 2005, S. 14)

Ø      Das Produktivitätswachstum ist gering; dabei besteht trotzdem Wirtschaftswachstum

Ø      Seit 2001 geringeres Wirtschaftswachstum und steigende Arbeitslosigkeit, was zu vermehrter Kritik führt (vgl. Perger, 2003, S. 1).

 6         Neuauflage des Poldermodells 2003

Trotz oder gerade wegen dieser kritischen Aspekte des Poldermodells wurde 2003 angesichts steigender Arbeitslosenzahlen eine Neuauflage des Modells diskutiert, das im eigentlichen Sinn (wie bereits diskutiert) kein Modell ist, sondern eine Metapher, eine Umschreibung, für die getroffenen Maßnahmen.

 

Im Jahre 2003 zeichnete sich ein negatives Wachstum ab. Die Regierung sah deshalb für das Jahr 2004 erhebliche Einschnitte im Haushalt vor (vgl. Schneider, 2003, S. 39 ff). Dies lehnten die Gewerkschaften ab und selbst die Arbeitgeber hielten die Sparmaßnahmen für übertrieben. Deshalb wurde eine neue Vereinbarung getroffen nach dem Motto: „Lohnstopp gegen Reformstopp“.

 

Wie 1982/83 mit dem Abkommen von Wassenaar fand also ein Tauschgeschäft statt: Die Gewerkschaften machten Zugeständnisse in der Lohnpolitik. Im Gegenzug dazu versprach die Regierung, auf Reformen im Bereich der Sozialleistungen zu verzichten, z.B. Leistungskürzungen bei Invaliden. Bedingung für die Umsetzung war, dass es eine Einigung hinsichtlich der Vorruhestandsleistungen geben solle. Eine Einigung scheiterte im April 2004.

 

Die OECD sagt eine ernste Wachstumskrise bevor. Als Gründe werden sinkende Wettbewerbsfähigkeit und geringe Inlandsnachfrage wegen des niedrigen Reallohnstiegs angeführt  (vgl. Niederländisches Konsulat, 2004; Perger, 2004, S. 2).

 6.1      Weitere Probleme, die es zu lösen gilt

Hier noch einige Probleme, die auch oder gerade wegen des Scheiterns der Neuauflage des Poldermodells in den nächsten Jahren gelöst werden müssen:

 

Ø      Die weit reichende Inanspruchnahme der Erwerbsunfähigkeitsrente

Ø      Die geringe Erwerbsquote der Geringqualifizierten

Ø      Die geringe Erwerbsquote der älteren Arbeitnehmern

Ø      Vorbereitung auf die demographischen Veränderungen (vgl. Gebbink, 2004)

Ø      Hohe Arbeitslosigkeit der nicht-westlichen Ausländer

Ø      In einigen Bereichen besteht ein Arbeitskräftemangel, so dass Lohnmäßigung nicht mehr durchsetzbar ist

Ø      Geringes Produktivitätswachstum (vgl. Schild, 2005, S. 13)

 6.2      Aktuelle politische Maßnahmen

Ø      Gewerkschaften und Arbeitgeber vereinbarten einen Lohnstopp (Victor, 2003)

Ø      Am 01.01.06 trat eine Gesundheitsreform in Kraft, die ähnlich wie das Modell der CDU/CSU eine  Gesundheitsprämie vorsieht. Ziel ist es, die Lohnnebenkosten zu senken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Auswirkungen der Gesundheitsreform lassen sich nach so kurzer Zeit noch nicht beurteilen (Financial Times Deutschland, 2005). 7         Zusammenfassung der Ansätze der Arbeitsmarktpolitik in den Niederlanden

Grundlage für die niederländischen Reformen ist eine große Kompromissbereitschaft bei allen Verhandlungspartnern. Außerdem trug ein Konsens über notwendige Maßnahmen dazu bei, dass diese auch umgesetzt werden konnten. Ferner verfolgte die Regierung mit ihren Reformen einen gesamtwirtschaftlichen Ansatz mit einer Kombination aus Lohnzurückhaltung, Flexibilisierung und Sozialreformen über zwei Jahrzehnte hinweg unter verschiedenen Regierungen. Die Offizielle Arbeitslosenquote konnte deutlich gesenkt werden, allerdings ist sie in den letzten Jahren wieder etwas angestiegen. Der Beschäftigungszuwachs resultiert überwiegend aus der Umverteilung von Arbeit und Einkommen, besonders die Förderung von Teilzeitarbeit. Das Volumen der Arbeit gemessen in Stunden ist während der vergangenen 20 Jahre nahezu gleich geblieben.

 8         Die Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse

Nun stellt sich die Frage, was wir aus den Erfahrungen der Niederländer lernen können.

In wieweit ist es möglich, (einen Teil) des Poldermodells auf die deutschen Verhältnisse zu übertragen? 8.1      Strukturelle und institutionelle Differenzen:

In den Niederlanden ist ein Konsens sehr viel verbreiteter und in Deutschland gibt es auch nicht den institutionalisierten Austausch zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern der Regierung. Die Regierung in Deutschland hat es schwer, Druck auszuüben und die Tarifparteien in einen politischen Rahmen einzugliedern (Tarifautonomie). Seit Einführung des Euros hat auch die Bundeszentralbank nicht mehr die Möglichkeit, mit einer Erhöhung der Leitzinsen zu drohen (vgl. Delsen, 2000, S. 120 f).

 

Drei Bedingungen waren für den Erfolg der Niederlande maßgeblich:

 - Gemeinsame Problemdefinition

 - Die richtigen Institutionen („Stiftung für Arbeit“, „Sozialökonomischer Rat“)

 - Kulturelle Grundlage (vgl. Delsen, 2000, S. 120 f.)

 

Daraus können wir lernen, dass es bei brisanten gesellschaftlichen Reformwerken wichtig ist, unter allen Umständen im Dialog zu bleiben.

 8.2      Bedeutung für Deutschland: Lohnzurückhaltung

Weiter Lohnzurückhaltung in Deutschland zu betreiben würde die Inlandsnachfrage zusätzlich schwächen. Denn seit Jahren wird diese Politik der Lohnzurückhaltung verfolgt. Arbeitsplätze konnten dadurch bislang jedoch nicht geschaffen werden.

 

In den Niederlanden funktionierte die Lohnzurückhaltung, da das Land noch stärker außenhandelsorientiert ist als Deutschland und von der Nachfrage aus Deutschland im Zuge der Wiedervereinigung profitierte (vgl. Logey & Volz, 2001).

 

Für größere Länder wie Deutschland gilt jedoch: Lohnsenkung führt zwar zu einer Senkung der Lohnstückkosten, jedoch bleibt der Absatzpreis zunächst konstant. Bei einer Verminderung der Realeinkommen führt der vergleichsweise hohe Preis allerdings zu geringerem Konsum, bei dem die Absatzmenge sinkt. Zwar kann diese Absatzeinbuße zunächst noch dadurch ausgeglichen werden, dass die Verbraucher auf Sparguthaben zurückgreifen. Damit können kurzfristig die Gewinne auch bei geringern Löhnen gesteigert werden. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dieser Mehrgewinn in Arbeitsplätze investiert wird, da die Absatzerwartungen sehr ungewiss sind. Durch Lohnzurückhaltung ist daher mit keiner zusätzlichen Beschäftigung zu rechnen (vgl. Logey & Volz, 2001).

 8.3      Teilzeitarbeit

Eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Personen durch die Förderung von Teilzeitarbeit könnte mehr Menschen in Arbeit bringen. Auch wenn eine Ausweitung von Teilzeitstellen zu geringeren Einkommen führt, muss doch festgehalten werden, dass ein geringes Einkommen immer noch besser als gar kein Einkommen ist. Für den Einzelnen ist ein geringeres Einkommen immer noch besser als keine Beschäftigung. Dies gilt besonders, wenn man sich die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit vergegenwärtigt: So führt Arbeitslosigkeit zu dem Verlust der ökonomischen Sicherheit, kann zu Diskriminierung führen statt zu Perspektive und Anerkennung durch den Beruf. Arbeitslosigkeit zieht den Verlust sozialer Kontakte nach sich und den Verlust des Gefühls eigener Sicherheit. Zudem verhindert Arbeitslosigkeit soziale Anregung durch die berufliche Umwelt (vgl. Waller, 2002, S. 54). Es wäre deshalb wünschenswert, die Arbeitsmarktbeteiligung zu erhöhen, denn Arbeit fördert den sozialen Zusammenhalt und dient der gegenseitigen Unterstützung. Wichtig ist weiter die Strukturierung des Tages durch Arbeit (Butter & Hazeu, 2003, S. 43. f). Oft wird vergessen, welche enormen Krankheitsfolgen Arbeitslosigkeit nach sich zieht, die einen erheblichen Kostenfaktor nach sich ziehen (vgl. Waller, 2002, S. 54 f).

 

Allerdings zeigen die Niederlande auch, dass viele TeilzeitarbeitnehmerInnen zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen sind, wenn es sich um geringfügige Teilzeitarbeit handelt. Weiterhin wurde der Ausbau von Teilzeitstellen von der Bevölkerung auch deshalb akzeptiert, weil es eine funktionierende Grundsicherung im Alter gibt und Teilzeitkräfte dabei weitgehend Vollzeitkräften gleichgestellt sind (s. o.). Nur diese Bedingungen machen Teilzeitarbeit attraktiv.

 

Deshalb erscheint es sinnvoll, wenn Gewerkschaften in Deutschland forderten:

Ø      Mehr Freizeit (für alle) statt mehr Lohn

Ø      Nutzung des Spielraums für Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn.

Dem stehen insbesondere zwei Problemfelder entgegen: Problemfeld I: Es fordert Solidarität der Arbeitenden mit Arbeitslosen.

Problemfeld II: Gewerkschaften vertreten nur Interessen der Arbeitenden, da nur sie Gewerkschaftsmitglieder sind (vgl. Kleinknecht & Naastepad, 2002, S. 323 f)

 

„Es ist grotesk, dass in Deutschland vier Millionen Menschen Arbeitszeitverkürzung als ‚Null Stunden-Woche’ bekommen, während der Rest voll durcharbeiten muss, oft noch mit Überstunden“ (Kleinknecht & Naastepad, 2002, S. 323). Somit erscheint eine Arbeitszeitverlängerung, wie sie nun auch im öffentlichen Dienst angestrebt wird, für die Arbeitslosigkeitsentwicklung ungünstig.

 

Das Poldermodell lässt sich also nicht ohne weiteres auf die deutschen Verhältnisse übertragen. Auch einzelne Aspekte herauszugreifen, z. B. die Lohnzurückhaltung, bringt nicht den gewünschten beschäftigungspolitischen Erfolg (vgl. Goddar, 1999). Denn nur bei gleichzeitigen Steuersenkungen (auch für ArbeitnehmerInnen) kann bei Lohnzurückhaltung die Kaufkraft erhalten bleiben und damit auch das Wirtschaftswachstum. Gerade dieses Zusammenspiel verschiedener Felder der Politik kennzeichnet das Poldermodell.

 9         Zusammenfassung

In dieser Arbeit wurden die wichtigsten Ansätze der Niederlande zur Verbesserung der Arbeitsmarktlage seit den achtziger Jahren vorgestellt, die gesamtwirtschaftlich ausgerichtet waren und sind. Lohnzurückhaltung, Teilzeitarbeit, Arbeitsmarktflexibilisierung und gesellschaftliche Faktoren sind die Wegmarken des Poldermodells. Die Arbeitsmarktlage konnte verbessert werden, allerdings sind die Zahlen mit Vorsicht zu betrachten. In den letzten Jahren ist die Arbeitslosigkeit wieder leicht angestiegen und es stellt sich die Frage, ob das Beschäftigungswachstum nicht zu einem großen Teil einfach auf eine Reihe günstiger Faktoren der gesamtwirtschaftlichen Lage zurückzuführen ist (vgl. Delsen, 2001, S. 123).

 

Abschließend wurden einige Punkte der Politik in den Niederlanden auf ihre Übertragbarkeit auf die deutschen Verhältnisse überprüft. Dabei kann festgehalten werden, dass sich die Maßnahmen nicht einfach auf die deutschen Verhältnisse übertragen lassen; u. a. deshalb nicht, weil hierzulande die gesellschaftlichen Grundlagen und die passenden Institutionen fehlen.

 

Es bleibt festzuhalten, dass es die Niederlande geschafft haben über zwei Jahrzehnte hinweg unter verschiedenen Regierungen eine konstante Politik zu verfolgen, die auf einem allgemeinen Konsens gründete, deren Ziel vor allem eine Verbesserung der Beschäftigungslage war.


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