Diese Darstellung gibt den Stand im Jahr 2005 wider. Aufgrund der gesundheitspolitischen Entwicklungen ist es möglich, dass einzelne Punkte nicht mehr den aktuellen Stand widerspiegeln.
Problemskizze:
In den letzten Jahren sind die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) immer weiter angestiegen. Dies ist einerseits auf die steigenden Ausgaben und andererseits auf weniger Beitragszahler zurückzuführen. Verschärft wird das Problem durch die demographischen Veränderungen, d. h. dass immer weniger jüngere, erwerbsfähige Menschen immer mehr älteren Menschen gegenüberstehen. Und mit dem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit, medizinische Leistungen in Anspruch zu nehmen. So betrugen im Jahr 1999 die Ausgaben für die über 85-jährigen im Vergleich zu den 40 bis 45-jährigen etwa 3,5 bis 5-mal so viel. Damit unser Gesundheitssystem langfristig bestehen bleiben kann, sind Reformen notwendig (vgl. Bizer & Sesselmeier, 2004, S. 86 f). Ein Konzept, das die Gesundheitssicherung grundlegend reformieren soll, ist das einer pauschalen Gesundheitsprämie.
In der Diskussion um die Reform der Krankenversicherung ist auch immer wieder der Vorschlag einer Gesundheitsprämie (Kopfpauschale). Die Begriffe Gesundheitsprämie, Gesundheitspauschale, Kopfpauschale, Prämie und Pauschale werden hier gleichbedeutend verwendet und spiegeln die unterschiedlichen Begriffe wider, wie sie in Presse und Medien gebraucht werden. Dabei ist der Ansatz ist nicht neu: schon 1966 wurde diese Idee erstmals diskutiert, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Erst in den letzten Jahren wurde das Modell erneut aufgegriffen und auf die Schweiz verwiesen, in der es seit 1996 die „Kopfprämie“ gibt (vgl. Langer/Pfaff 2003, S.24).
Die Kopfpauschale bedeutet eine komplette Abkehr vom derzeitigen System der einkommensabhängigen Beiträge (vgl. Bizer & Sesselmeier, 2004). Dabei gibt es eine Reihe unterschiedlicher Konzepte, die hier nicht ausführlich erörtert werden. Hierzu sei z. B. auf Langer & Pfaff, 2003 verwiesen.
1.1 Varianten von Kopfprämien
Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen Kopfpauschalen mit risiko-äquivalenten Beiträgen (d. h. dass z. B. Raucher mehr zahlen als Nichtraucher) mit Subventionen der Prämien für untere Einkommen aus Steuermitteln. Den Kassen jedoch sind diese risiko-äquivalenten Beiträge zu aufwendig, denn sie müssten zur Überprüfung jedem Mitglied Tag und Nacht hinterher spionieren. Deshalb ist dieses Modell nicht in der Diskussion. Einkommensunabhängigen, einheitlichen Pauschalen auch hier mit Finanzierung der Umverteilung über Steuern (vgl. Langer & Pfaff, 2003, S. 29, Pfaff & Pfaff, 2004).
In den Unterpunkten werden die Prinzipien der Krankenvesicherung in Deutschland vorgestellt, sowie das Konzept einer "solidarischen Gesundheitsprämie" der CDU/CSU diskutiert und auf Probleme hingewiesen. In einer weiteren Seite wird das Krankenversicherungssystem einer obligatorischen Gesundheitsprämie in der Schweiz erklärt.
Als Beispiele für eine Gesundheitsprämie bzw. Kopfpauschale soll das Konzept von CDU und CSU einer „solidarischen Gesundheitsprämie“ diskutiert werden. Es werden Ziele, das Prinzip, Kosten und Auswirkungen erörtert.
Das Beispiel der Schweiz zeigt, wie die Umsetzung auf Kopfpauschalen in der Praxis aussieht und welche Auswirkungen sich bei der Kostenentwicklung zeigen. Abschließend soll auf die aktuellen Diskussionen zur Gesundheitspolitik nach der Bundestagswahl 2005 eingegangen werden.
Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, wird der Schwerpunkt auf zwei Modelle von Kopfpauschalen gelegt. Außer Acht bleibt die historische Entwicklung der Sozialversicherung Informationen hierzu finden sich z. B. beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch die Überlegungen der von der ehemaligen Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (Rürup-Kommission), die die Diskussion um die Kopfpauschale angeregt hat, bleiben außen vor (näheres dazu: Rürup-Kommission, 2003). Ferner können auch nicht die kontroversen Diskussionen zwischen CDU und CSU aufgegriffen werden, sondern lediglich der Entwurf eines Kompromisses vorgestellt werden: die „solidarische Gesundheitsprämie“. Bereits umgesetzte Reformen wie das Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz werden im Zusammenhang dieser Ausführungen nicht berücksichtigt. Hierzu sei auf die Homepage von Zettner, 2005 sowie das Bundesministerium für Gesundheit verwiesen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es sich bei diesem Referat um eine Arbeit im Lernbereich II handelt, da es hier um Reformoptionen im System sozialer Sicherung geht, die für die Soziale Arbeit – besonders im Gesundheitsbereich – relevant sind (vgl. EFH Hannover (Hrsg.), 2005/06, S. 14).
Einleitend sollen nun zunächst einige Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt werden, damit überprüfbar wird, ob diese bei den möglichen Reformen berücksichtigt werden.
2 Prinzipien der Krankenversicherung
Zu Beginn der Ausführungen sollen einige Grundprinzipien der Sozialversicherung dargestellt werden, die dadurch Bedeutung erlangen, dass ca. 90 % (vgl. Simon, 2005) der in Deutschland lebenden Menschen gesetzlich krankenversichert sind. Allerdings werden hier lediglich jene Merkmale vorgestellt, die im Zusammenhang mit der Diskussion um die Gesundheitsprämie relevant sind. Ausführliche Informationen zum Gesundheitswesen sind sehr übersichtlich und gut verständlich bei Simon, 2005 zu finden.
Die folgenden Grundprinzipien sind nicht oder nur sehr allgemein in Gesetzen festgehalten. Sie haben sich historisch entwickelt und wurden von der Rechtsprechung ausgelegt.
Prinzipien sind:
§ das Sozialstaatprinzip (Art. 20 und 28 GG) wonach es Aufgabe des Staates ist für soziale Gerechtigkeit zu sorgen
§ das Subsidiaritätsprinzip, bei dem nur Lasten, die vom Individuum oder der kleineren Solidargemeinschaft (Familie) nicht selbst getragen werden können von der jeweils größeren Solidargemeinschaft übernommen werden
§ die Versicherungspflicht (für ArbeiterInnen und Angestellte unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze) (vgl. Zettner, 2005a)
§ die Selbstverwaltung der Krankenkassen (vgl. Simon, 2005, S. 52 ff)
§ das Solidarprinzip, das wegen seiner zentralen Bedeutung ausführlicher vorgestellt werden soll
2.1 Solidarprinzip
Die Absicherung im Krankheitsfall durch die gesetzlichen Krankenversicherung fußt auf einem „umfassenden Solidaritätsbegriff, der unabhängig von Einkommen und der Zahl der Familienmitglieder zu gleich guten Leistungen in der Bewältigung von Krankheit führen soll (vgl. DBSH, 2004, S.4).
Das Solidarprinzip besagt, dass sich die Mitglieder der Solidargemeinschaft - in diesem Fall der gesetzlichen Krankenversicherung - im Krankheitsfall gegenseitige Unterstützung zusichern. Diese ist im Rahmen der Krankenversicherung keine bloße Mildtätigkeit, sondern ein Rechtsanspruch des Einzelnen gegenüber der Solidargemeinschaft Dieser Anspruch ist im Sozialgesetzbuch I im Rahmen der allgemeinen Rechte (z. B. §§ 3 bis 10 SGB I) festgehalten sowie an verschiedenen Stellen im SGB V (Krankenversicherung, z. B. §§ 1, 2, 11 SGB V) (vgl. Simon, 2005, S. 53).
Verwirklicht wird das Solidarprinzip nicht durch direkte Hilfeleistungen zwischen einzelnen Mitgliedern, sondern durch eine allgemeine Umverteilung der Behandlungskosten zwischen verschiedenen Gruppen der Krankenversicherung. Die Gesunden z. B. tragen im Rahmen des Solidarausgleichs die Kosten für die Kranken mit, d. h. jeder zahlt seinen Beitrag unabhängig davon, ob er krank ist oder nicht. Der Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken gilt als „der wichtigste und grundlegendste der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Simon, 2005, S. 54). Damit dieser Solidarausgleich funktionieren kann, müssen relativ viele Gesunde einzahlen, um relativ wenige Kranke abzusichern (vgl. ebd., S. 55)
WeitereSolidarausgleiche bestehen zwischen:höherenundniedrigerenEinkommen durch einkommensabhängige Beiträge, bei denen trotzdem jedem Versicherten die gleichen Leistungen zustehen. Allerdings müssen seit in Kraft treten des Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz Zuzahlungen unabhängig vom Einkommen geleistet werden, wenn auch nur bis zu einer Belastungsgrenze von 2 % (bzw. 1 % bei chronisch Kranken) des Bruttolohns. Somit ist dieser Grundsatz jedenfalls teilweise abgeschwächt, da nur Kranke Zuzahlungen leisten müssenJungen und Alten durch Subventionierung der Krankenversicherung der Rentner,. die Beiträge sind nicht risikoabhängig kalkuliert, sondern unabhängig von der Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit zu erkranken. (Dieser Ausgleich wird aufgrund der demographischen Entwicklung zunehmend kritisch diskutiert)Ledigen und Familien in Form der beitragsfreien Versicherung von Familienangehörigen, wenn diese keine eigenen, beitragspflichtigen Einnahmen erzielen. Denn Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Staates (Art. 6 GG). 20 % bzw. 30 % der Versicherten in Ostdeutschland waren auf diese Weise beitragsfrei krankenversichert (vgl. Simon, 2005, 53 ff)
Der Solidarausgleich wird von breiten Teilen der Bevölkerung wertgeschätzt. Selbst von denen, die zu den Zahlenden der Solidarausgleiche gehören. Dies bestätigen Befragungen der letzten Jahre (vgl. Simon, 2005, S. 57). Insofern sollte bei den Vorschlägen zu einer Reform des Gesundheitswesens immer auch geprüft werden, ob dabei die Solidarität zwischen den Einzelnen sichergestellt ist.
2.2 Private Versicherung
Besserverdienende ab einer Beitragsbemessungsgrenze von 3825 Euro monatlich und Selbständige sind von der Versicherungspflicht befreit und können sich privat versichern. Damit kann sich gerade der Teil der Bevölkerung mit hohen Einkommen aus der Solidargemeinschaft verabschieden. Dies soll sich nach den Plänen von CDU/CSU auch nicht ändern (Zettner, 2005).
2.3 Paritätische Finanzierung
Ein weiteres wichtiges Prinzip in der Krankenversicherung ist die gemeinsame Finanzierung von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Beide Parteien tragen die Beiträge zur Krankenversicherung paritätisch, d. h. je zur Hälfte (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung, 2005). Deshalb führen wachsende Gesundheitsausgaben auch zu steigenden Lohnnebenkosten. Die Einführung der Kopfpauschale soll die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten abkoppeln.
Nachdem nun die Grundprinzipien der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verdeutlicht wurden, soll im nächsten Schritt das Modell der "solidarischen Gesundheitsprämie" (auch Kopfpauschale genannt) vorgestellt und überprüft werden, inwieweit die Prinzipien der Krankenversicherung gewährleistet werden.