In Schweiz wurde das Gesundheitssystem bereits auf einheitliche Kopfpauschalen umgestellt. Wie dort die Umsetzung aussieht und wie sich diese auf die Kosten ausgewirkt hat, soll nachfolgend erörtert werden. Denn dieser „Feldversuch“ im großen Stil zeigt, dass mit der Umsetzung der Kopfpauschalen erhebliche Probleme verbunden sind.
Die Krankenversicherung in der Schweiz ist seit 1996 eine Kombination aus Bürgerversicherung (d. h. für alle verpflichtend) mit einheitlichen Pauschalen pro Kopf (vgl. Piller, 2005).
4.1 Wesentliche Punkte des KVG (Krankenversicherungsgesetzes)
Die Krankenversicherung ist für alle Bürgerinnen verpflichtend, die Versicherer sind zur Aufnahme verpflichtet, wodurch Versorgungslücken geschlossen werden konnten, die Versicherten können theoretisch alle drei die Krankenkasse wechseln. Diese Möglichkeit wird jedoch selten genutztFestlegung eines Grundleistungspakets, um eine einheitliche Versorgungsqualität sicherzustellen und die Höhe der Kopfpauschalen vergleichen zu können (Dieses Grundleistungspaket ist in der Schweiz geringer als in Deutschland, da z. B. Zahnbehandlungen und Krankentagegeld von der Versicherungsleistung ausgeschlossen sind)System von Prämienvergünstigungen Einführung eines Risikostrukturausgleichs zwischen Alter, Geschlecht und Kanton, nicht aber zwischen Gesunden und KrankenVerbot, die Prämienhöhe von Eintrittsalter und Geschlecht abhängig zu gestaltenFreiheiten der Versicherungen in der Gestaltung der Tarife (z. B. Zeittarife, Pauschalen usw.) und beim Angebot besonderer Versicherungsformen (beispielsweise Hausarztmodell, Bonusmodell), sowie das Angebot, auf Versicherungsleistungen zu verzichten und dafür eine günstigere Prämie zu bezahlen (vgl. Spycher, 2004, S. 20 f.)1.1.1 Zusatzversicherung
Neben der obligatorischen Pflichtversicherung, die eine Grundversorgung gewährleistet und die Kosten von Untersuchungen, Behandlungen und Arzneimittelkosten übernimmt (vgl. Wikipedia, 2005b), werden Zusatzversicherungen angeboten.
4.2 Kostenerstattung und Finanzierung
Bei ambulanten Untersuchungen und Behandlungen gilt das Prinzip der Kostenerstattung, im stationärenBereich hingegen das Sachleistungsprinzip. Das Prinzip der Kostenerstattung im Nachhinein bietet den Vorteil, dass den Patienten bewusster wird, wie viel Behandlungen Kosten. Das Problem liegt darin, dass es Versicherte gibt, die die Kosten für eine Behandlung nicht vorstrecken können und deshalb auch auf notwendige Arztbesuche verzichtenVersicherer müssen Rücklagen bilden, speziell kleine Versicherungen müssen Rückversicherungen abschließen zum Schutz der VersichertenAlle BürgerInnen tragen zur Finanzierung der Krankenversorgung bei; die Einnahmen müssen dabei kostendeckend seinDie Finanzierung erfolgt im Umlageverfahren, d. h. die Gesamtkosten werden auf alle Versicherten verteilt Den Bau von Krankenhäusern und mindestens die Hälfte der Betriebskosten stationärer Aufenthalte werden von Gemeinden und Kantonen übernommenPrämienvergünstigungen werden gemeinsam von Bund und Kantonen finanziert, um Einkommensschwache zu entlastenZwischen Alter, Geschlecht und Kanton besteht ein Risikostrukturausgleich, der im Nachhinein verteilt wird. Da aber zwischen Gesunden und Kranken kein Ausgleich berücksichtigt wird, versuchen die Versicherer möglichst Gesunde Beitragszahler zu gewinnen, statt tatsächlich die Gesundheitskosten gering zu halten Krankenkassen können von unwirtschaftlich arbeitenden Leistungserbringern die Rückzahlung verlangen (vgl. Spycher, 2004, S. 22 fArbeitgeber sind an der Finanzierung der Krankenversicherung – im Gegensatz zu Deutschland – nicht beteiligt.
Die Kosten für die Pauschale weisen dabei große kantonale Unterschiede auf, denn auch in der gesamten Schweiz vertretende Versicherer müssen für jeden Kanton einen eigenen Prämientarif verwenden, Quersubventionen sind nicht gestattet (vgl. Spycher, 2004, S.24).
4.2.1 Prämienvergünstigungen für einkommensschwache Haushalte
Das System der Vergünstigungen wird teils vom Bund, teils von den einzelnen Kantonen finanziert. Die Ausgestaltung liegt aber bei den Kantonen, so dass es inzwischen 26 unterschiedliche Prämienvergünstigungssysteme gibt. Dabei unterscheiden sie sich in folgenden Punkten:Einkommensbezugsgrößen (versteuertes Einkommen, Bruttoeinkommen, Nettoeinkommen)Anspruchsberechtigung: teilweise automatische Überprüfung mit der Steuererklärung, in manchen Kantonen werden die Anspruchsberechtigten persönlich über den Anspruch informiert und sie schicken ein Antragsformular zu, in zwei Kantonen wird die zuständige Behörde nur auf Antrag aktivBerechnung der Höhe der Prämienvergünstigung: nach Prozentmodell oder nach dem Stufenmodell, bei dem verschiedene Einkommensklassen gebildet werdenZeitpunkt zum Einreichen des Antrags (jährlich zusammen mit Steuererklärung oder zu einem festen Termin im Jahr)Auszahlung der Prämie (entweder direkt an die Versicherten oder an die Versicherung, die ihren Versicherten dann eine günstigere Prämie berechnet)
(vgl. Spycher, 2004, S. 24 f)
4.3 Kostenexplosion
Seit der Einführung der Kopfpauschalen sind die Kosten für die Krankenversorgung um 42 % gestiegen. Damit erhöhten sich die Beiträge deutlich mehr als die Löhne anstiegen (Spycher, 2004, S. 22). Das Schweizer Gesundheitssystem entwickelte sich zum zweitteuersten weltweit. Nur in den USA sind die Ausgaben für die Gesundheit noch höher. Die steigenden Beiträge bewirken, dass mittlerweile 30 % der Versicherten auf staatliche Zuschüsse angewiesen sind. Hinzu kommt, dass mit diesen Beiträgen lediglich eine Grundversorgung sichergestellt ist, die Zusatzversicherungen notwendig machen (s. o.). Wie aber sollen zusätzliche Versicherungen finanziert werden, wenn nicht mal (bei immerhin 30 % der Bevölkerung) das Geld für die Grundversorgung aufgebracht werden kann? Dadurch werden finanziell schlechter gestellte ebenso benachteiligt wie beispielsweise chronisch Kranke, die nicht in eine private Zusatzversicherung aufgenommen werden, da sie zu große Kosten verursachen (letzteres habe ich erst kürzlich bei einem Klienten erlebt).
Soziale Benachteilungen können trotz Prämienvergünstigungen nicht völlig ausgeschlossen werden. Insbesondere Familien sind belastet, da jeder Einwohner und jede Einwohnerin beitragspflichtig ist.
Kritisiert wird nicht nur, dass viele Leistungen nur noch für besser verdienende bezahlbar sind, sondern auch „dass die Löcher, die diese Form der Krankenversicherung in die Taschen der Bevölkerung reißt, der Schweizer Wirtschaft Schaden“ (Engert, 2003, S. 10). Denn durch die steigenden Ausgaben der Arbeitnehmer für die Krankenversicherung haben die BürgerInnen weniger Geld zur Verfügung, um durch ihre Nachfrage das Wirtschaftswachstum zu vergrößern. Seit der Einführung der Kopfpauschalen hatte die Schweiz ein geringeres Wachstum als die EU-Staaten (vgl. ebd.).
In der Schweiz gibt es – wie auch von CDU und CSU
angedacht – einkommensunabhängige Pauschalen als Beiträge für die
gesetzliche Krankenversicherung. Dabei ist die Pauschale für alle
EinwohnerInnen verpflichtend, während das Modell der Christdemokraten
die Prämie lediglich für die gesetzlich Versicherten vorschlägt. Im
Unterschied zu Deutschland beteiligen sich die Arbeitgeber in der
Schweiz überhaupt nicht an den Beiträgen zur Krankenversicherung.
(Möglicherweise auch heimliches Ziel der CDU??) Sowohl Kinder, als auch
Ehepartner ohne eigenes Einkommen sind beitragspflichtig. Für
wirtschaftlich Benachteiligte greift ein Prämienvergünstigungssystem,
wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen gibt.
Seit
Einführung der Pauschalen 1996 sind die Kosten für die Prämien extrem
angestiegen, so dass inzwischen knapp ein Drittel der Bevölkerung auf
Prämienvergünstigung angewiesen ist.
2 Zusammenfassung und Ausblick:
Das
Gesundheitssystem bedarf aufgrund immer weiter steigender Kosten und
infolge der demographischen Entwicklung und der hohen Arbeitslosigkeit
einer grundlegenden Reform. Die Reform sollte weiterhin das
Solidaritätsprinzip berücksichtigen, das in der Bevölkerung eine hohe
Anerkennung genießt – selbst bei denjenigen, die zu den Zahlern der
Solidarausgleiche zählen (Simon, 2005, S. 57). Zwei verschiedene Modelle
von Kopfpauschalen wurden vorgestellt. Bei dem von der
Herzog-Kommission entwickelten und von CDU/CSU vorgeschlagenen Modell
der „solidarischen Gesundheitsprämie“ wird von jedem/jeder Versicherten
eine einheitliche Pauschale verlangt. Bezieher geringer Einkommen
erhalten staatliche Zuschüsse. Die Möglichkeit privater Versicherung für
Besserverdienende soll beibehalten werden Die Anteile der Arbeitgeber
an der Prämie sollen nicht weiter erhöht werden. Das Beispiel der
obligatorischen Gesundheitsprämie zeigte, dass auch durch mehr
Wettbewerb keine Kostensenkung erreicht wurde.
Insgesamt
bestehen Zweifel, ob diese Umverteilung durch Kopfpauschalen mit
steuerfinanzierten Zuschüssen langfristig die Strukturprobleme des
Gesundheitssystems lösen kann. Insbesondere wird kritisiert, dass hohe
Einkommen wesentlich stärker entlastet werden. Um diese
Verteilungsungerechtigkeit zu beheben sind einige Schritte notwendig.
Dadurch wird das System nicht weniger kompliziert, auch wenn
einheitliche Pauschalen zunächst einfach aussehen. Abgesehen davon gehen
die Umstellung des Steuersystems und die Finanzierung der
Prämienvergünstigungen mit hohen Belastungen des Fiskus einher. Dies
verdeutlichen Schätzungen und die Erfahrungen der Schweiz.
Eine
gerechtere, an der Leistungsfähigkeit orientierten Finanzierung, bei
der tatsächlich auch ein Ausgleich zwischen sehr hohen Einkommen
(oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegenden) und niedrigen kann
sehr viel einfacher auf dem Weg einer Umgestaltung Richtung
Bürgerversicherung erreicht werden.