Der Begriff der Demenz kommt aus dem Lateinischen: „de“ bedeutet so viel wie „weg“; „mens“ kann mit Geist, Verstand übersetzt werden. Gemeint ist also ein Verlust der geistigen Fähigkeiten, die den Menschen hinsichtlich seiner Intelligenz, wie auch seiner Person verändert (Falk, 2004, S. 32). Die Demenz zählt zu den häufigsten und folgenreichsten Erkrankungen des Alters neben Depressionen und Ängsten (Weyerer, 2005, S. 7, Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 27).
Unter dem Begriff der „Demenz“ wird ein Muster von Symptomen zusammengefasst, welches bei Erkrankungen des Gehirns auftreten kann, wenn eine Schädigung oder Zerstörung von Nervenzellen stattfindet. Kennzeichen sind allmählich fortschreitendes Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Orientierung, Denkvermögen, Sprache), mit der eine Beeinträchtigung bei den Alltagsaktivitäten einhergeht. Zunächst sind dabei komplexe Aufgaben betroffen, später immer einfachere, wie z. B. Aufnahme von Nahrung (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 1). Dabei kann diese Erkrankung „als ein biopsychosozialer Prozess“ (Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 28) verstanden werden. Das bedeutet, dass verschiedene Faktoren Einfluss auf eine Demenzerkrankung und deren Entwicklung haben.
Unterschiedliche Krankheiten können zu einer Demenz führen. (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 1). Grundsätzlich kann unterschieden werden zwischen
- primären Demenzen; diese werden durch direkte Hirnschädigung verursacht, sie gehen also direkt vom Gehirn aus. Bei den primären Demenzen – deren Ursache eigenständige Hirnerkrankungen sind - kommen vor allem degenerative (Alzheimer-Demenz) und vaskuläre (die Gefäße betreffend) Veränderungen in Frage. Für diese Demenzformen gilt, dass sie bislang irreversibel sind.
- sekundären Demenzen, die Folge einer anderen Erkrankung (z. B. Tumor, Vitamin-B12-Mangel, Multiple Sklerose, Infektionen u. a.). Sie sind teilweise reversibel, d. h. sie können bei erfolgreicher Behandlung der Grunderkrankung wieder weitgehend abklingen.
(vgl. Falk, 2004, S. 38 f.).
Aufgrund der verschiedenen Ursachen, die zu einer Demenz führen können, ergibt sich ein sehr vielseitiges klinisches Bild und ein unterschiedlicher Verlauf (vgl. Hauser, 2005, S. 19).
Hier soll lediglich auf die primären Demenzen eingegangen werden, da sie wesentlich häufiger auftreten. Zudem sind die Ursachen nicht behandelbar und deshalb muss mit den langfristigen Konsequenzen umgegangen werden. Das bedeutet, dass Soziale Arbeit hier neben der Medizin – gerade weil die Ursachen nicht beseitigt werden können – einen wichtigen Beitrag leisten kann. Schwerpunktmäßig wird die Demenz vom Alzheimertyp vorgestellt (vgl. Weyerer, 2005, S. 8), die die häufigste Form der Demenz ist. Dem trägt auch das Fallbeispiel ab Seite 38 Rechnung.
Häufigste Ursache der Demenz ist die Alzheimer-Krankheit [ca. 50-70 % der Demenzen (vgl. Falk, 2004, S. 39, Alzheimer Europe, 2005, S. 1, Kruse & Gaber, 2002, S. 18)]. Dem folgen Krankheiten der Blutgefäße (vaskuläre Demenzen) mit ca. 10-20 % (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 1, Kruse & Gaber, 2002, S. 18), die die Blutversorgung des Gehirns einschränken und dadurch Gewebeuntergänge (Hirninfarkte) hervorrufen (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 1). Bei alten Menschen sind Alzheimer-Krankheit und vaskuläre Demenz häufig miteinander kombiniert und treten bei ca. 20 % (vgl. Kruse & Gaber, 2002, S. 19) der Erkrankungsfälle als Mischformen auf. Alle übrigen Ursachen primärer Demenzen sind äußerst selten: Pick-Krankheit (Frontotemporale Demenz), Creutzfeld-Jakob-Krankheit, Chorea-Huntington-Krankheit, Parkinson-Krankheit, Lewy-Körper-Krankheit, Amyotrophe Lateralsklerose. Diese sollen hier nicht weiter diskutiert werden, denn sie sind gemessen an der Gesamtzahl der Demenzen eher unbedeutend (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 1).
Die folgende Graphik veranschaulicht den prozentualen Anteil von Demenzursachen. Zur Vereinfachung wurden mittlere Werte herangezogen und gerundet (Quellen: Alzheimer Europe, 2005, S. 1 ff., Hirsch & Holler, 1999, S. 24, Kruse & Gaber, 2002, S. 19, Hauser, 2005, S. 16, Stoppe, 2006, S. 12. ff.)
Die Prävalenz gibt die Häufigkeit der Krankheitsfälle (neu Erkrankte und bereits länger Kranke) einer bestimmten Krankheit pro Zeiteinheit und Bevölkerungsgruppe wider (vgl. Waller, 2002, S. 40).
Bislang gibt es kaum gesicherte Daten über die Anzahl der demenziellen Krankheitsfälle. In internationalen Studien schwanken die Werte der Prävalenz sehr stark, da es keine klar definierten Kriterien zur Abgrenzung leichter kognitiver Störungen zum frühen Stadium der Demenz gibt (vgl. Hauser, 2005, S. 9 f.). Bickel (2001, S. 109) gibt die Gesamtprävalenz im Mittel mit eine Rate von 7,2 % an.
Lediglich zur Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) gibt es eine relativ gute Datenlage, da nur hier ein Konsens über diagnostische Kriterien besteht. Bei der vaskulären Demenz (VaD) hingegen ist die Falldefinition weniger präzise und damit auch die Datenlage weniger umfangreich (vgl. Stoppe, 2006, S. 12).
Die folgende Tabelle der Gesundheitsberichterstattung gibt die Prävalenz von Alzheimer und vaskulärer Demenz in verschiedenen Altersgruppen bei Männern und Frauen wider. Aus: Heft 28, Tabelle 3: Alterspezifische Prävalenz der Alzheimer-Demenz und der vaskulären Demenz [Gesundheitsberichterstattung - Themenhefte, 2006] Altersspezifische Prävalenz von Alzheimer- und vaskulärer Demenz AltersgruppeAlzheimer DemenzVaskuläre Demenz Lobo et al. (2000)Hy und Keller (2000)Lobo et al. (2000) MännerFrauenMännerFrauenMännerFrauen 65 bis 69 Jahre 0,6 0,7 0,7 1,0 0,5 0,1 70 bis 74 Jahre 1,5 2,3 1,5 2,1 0,8 0,6 75 bis 79 Jahre 1,8 4,3 3,1 4,5 1,9 0,9 80 bis 84 Jahre 6,3 8,4 6,4 9,0 2,4 2,3 85 bis 89 Jahre 8,8 14,2 12,8 17,4 2,4 3,5 90 bis 94 Jahre 17,6 23,6 23,7 31,0 3,6 5,8 95 und mehr Jahre - - 39,8 48,9 - - Gesamtrate* 2,35,23,06,21,21,3
* Gesamtrate für die über 65-jährigen bei Standardisierung auf die Altersstruktur der deutschen Altenbevölkerung zum Ende des Jahres 2002
Mit der Inzidenz wird die Rate der Neuerkrankungen pro Jahr beziffert und ist unbeeinflusst von der Krankheitsdauer. In den meisten Studien wird die Inzidenz in der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen mit 1,5 – 2 % angegeben (vgl. Hauser, 2005, S. 10). Damit erkranken in Deutschland jährlich ca. 200.000 Menschen neu an einer Demenz (vgl. Weyerer, 2005).
Mit steigendem Lebensalter tritt die neurodegenerative Erkrankung „Alzheimer“ häufiger auf. Von 1 % bei den 60-64-Jährigen steigt die Prävalenz auf 35 % bei den über 90-Jährigen (vgl. Stoppe, 2006, S. 13). Die Inzidenz (Neuerkrankungsrate) steigt ebenfalls: von 0,36 % pro Jahr bei den 60- bis 64-Jährigen auf 0,66 % bei den über 90-Jährigen (vgl. Stoppe, 2006, S. 13).
Auch der prozentuale Anteil der Alzheimer-Demenz an den Demenzen insgesamt steigt mit zunehmendem Alter. Somit ist die Wahrscheinlichkeit einer DAT umso höher, je älter ein Mensch ist (vgl. Stoppe, 2006, S. 13). Damit kann das Alter als größter Risikofaktor angesehen werden, an einer Demenz zu erkranken (vgl. Hauser, 2005, S. 10).
Als sicherster Risikofaktor, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken, wird also das höhere Lebensalter gesehen.
Ein erhöhtes Risiko (mindestens dreimal so hoch wie der Durchschnitt) besteht ebenso, wenn in direkter Verwandtschaft (Geschwister, Eltern) eine Demenz aufgetreten ist (vgl. Stoppe, 2006, S. 17). Mutationen (Abwandlungen der Erbinformationen) verschiedener Chromosomen (1, 14, 21) konnten als genetische Faktoren lokalisiert werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 2, Stoppe, 2006, S. 17). Sie führen zu einer vermehrten Produktion oder Ablagerung von Amyloid im Gehirn (vgl. Kurz & Diehl, 2003, S. 10). Diese erbliche Form der Alzheimer Krankheit ist durch frühes Einsetzen (vor dem 65. Lebensjahr) und einen raschen Krankheitsverlauf gekennzeichnet (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 2). Häufiger ist jedoch eine Alzheimer-Variante mit Beginn nach dem 65. Lebensjahr. Hier spielen diese erblichen Faktoren keine Rolle (vgl. Kurz & Diehl, 2003, S. 11).
Bei den nicht-genetischen Faktoren wird u. a. der Einfluss von (Schul-)Bildung diskutiert. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, da mit Bildung auch ein anderer Lebensstil einhergeht und neuropsychologische Tests u. U. anders bearbeitet werden. So ist festzustellen, dass Menschen mit höherer Bildung zwar zeitlich später erkranken, aber bei Erkrankungsbeginn neurobiologisch fortgeschrittenere Befunde aufzeigen. Dies deutet lediglich auf eine Verschiebung der Krankheitsmanifestation, weniger auf einen präventiven Effekt von Bildung hin (vgl. Stoppe, 2006, S. 18 f.).
Mäßiger Alkoholgenuss kann als Risikofaktor weitestgehend ausgeschlossen werden (vgl. Kurz & Diehl, 2003, S. 14). Allerdings kann erhöhter Alkoholkonsum zur Alkoholdemenz führen (nutritiv-toxisch oder metabolisch verursachte Demenzen [vgl. Weyerer, 2005, S. 8]). Das Rauchen wird unterschiedlich bewertet (vgl. Stoppe, 2006, S. 19, Kurz & Diehl, 2003, S. 12).
Als weitere Risikofaktoren werden diskutiert, können aber weitestgehend ausgeschlossen werden:
- Weibliches Geschlecht: Die häufigere Betroffenheit von Frauen lässt sich auf die unterschiedliche Lebenserwartung und (Ko-)Morbidität zurückführen
- Depressionen können eher als ein frühes Zeichen, denn als Risiko bewertet werden
- Auch der Einfluss von Ernährung ist vorsichtig zu betrachten (vgl. Stoppe, 2006, S. 19).
Zwischen den einzelnen Risikofaktoren (Gene, Bildung, sozioökonomischer Status, Ernährung, Aktivität, Umwelt) können Wechselbeziehungen festgestellt werden. Möglicherweise werden bestimmte Risikofaktoren nur in bestimmten Lebensabschnitten, bei einer bestimmten Dauer oder in Kombination mit anderen Faktoren wirksam (vgl. Stoppe, 2006, S. 18).
Risikofaktoren für vaskuläre Demenzen
Vaskuläre Demenzen werden durch Erkrankungen der Hirngefäße verursacht (vgl. Hauser, 2005, S. 18). Bei diesen Formen der Demenz existiert eine weniger gesicherte Datenlage (vgl. Stoppe, 2006, S. 20). Der einzig gesicherte, aber sehr bedeutende Risikofaktor stellt die arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) dar. Daneben werden Diabetes mellitus, Hyperlipidämie (bei Übergewicht), Rauchen und extremer Alkoholkonsum als Risikofaktoren diskutiert (vgl. Kruse & Gaber, 2002, S. 19).
Der aktuelle Forschungsstand zur häufigsten Form der Demenz soll hier kurz dargestellt werden.
Bei der Alzheimer-Erkrankung kommt es zu einer tempoparietalen Hirnatrophie mit erweiterten Liquorräumen und verringertem Hirngewicht. Mikroskopisch können Nervenzellenverlust und Gliose in verschiedenen Hirnarealen festgestellt werden (in der temporalen und parietalen Rinde, in cholinergen und noradrenergen und serotonergen subkortialen Kernen). In den betroffenen Regionen bilden sich extrazelluläre diffuse, fleckenförmige Ablagerungen von β-Amyloid (Plaques). Auch an der Wand kleinerer Arterien finden sich diese Amyloid-Ablagerungen. Es entstehen außerdem innerhalb zahlreicher Nervenzellen typische Neurofibrillenveränderungen (vgl. Kurz & Diehl, 2003, S. 11). Die Menge und Verteilung der neurofibrillen Bündel (Tangles) scheint dabei eher einen Einfluss auf das Ausmaß der neuronalen Beeinträchtigung und die Demenzschwere zu haben als die Amyloid-Ablagerungen (vgl. Stoppe, 2006, S. 24).
Auf der zellulären Ebene sind besonders die großen Pyramidenzellen verringert (atrophiert) (vgl. Stoppe, 2006, S. 23 f.).
Eine erhebliche Beeinträchtigung der cholinergen Transmitterfunktion mit einer Abnahme cholinerger Neurone im basalen Vorderhirn tritt schon früh auf und korreliert mit der Reichweite der kognitiven Ausfällen. Neben der Verminderung präsynaptischer cholinerger Funktionen kann auch eine postsynaptische Reduktion an den nikonergen Rezeptoren festgestellt werden (vgl. Stoppe, 2006, S. 24).
Die neuropathologischen Kennzeichen (neurofibrilläre Bündel und Amyloid-Plaques) der Alzheimer-Demenz werden gegenwärtig intensiv erforscht. Zu 90 % bestehen die Amyloid-Plaques aus dem Amyloid-β-Peptid (Aβ), einem 4-kDA-Polypeptid. Während unlösliche Aβ-2-Aggregate in-vitro neurotoxisch sind, hat das monomere Molekül diese Eigenschaft nicht. Das Amyloid- β-Peptid ist ein Spaltprodukt des hochmolekularen Aβ-Vorläuferproteins Amyloid Precursor Protein (APP). Es konnte nachgewiesen werden, dass Mutationen des APP-Gens für seltene, genetisch vererbbare Formen der Alzheimer-Erkrankung verantwortlich sind (vgl. Stoppe, S. 24 f.).
APP wird über zwei Wege abgebaut: einerseits wird APP über die Alpha-Sekretase gespalten. Dabei entsteht kein Aβ-42. Andererseits wird ein Aβ-Fragment über die Beta-Sekretase gebildet, nach Spaltung durch die Gamma-Sekretase. Die Grundlagenforschung für therapeutische Zwecke konzentriert sich heute vor allem auf die Hemmung der Aggregation zu Aβ-42 durch Beeinflussung der Sekretasen oder weiterer am Prozess beteiligter Elemente, sowie die Möglichkeit der Immunisierung/Impfung (vgl. Stoppe, 2006, S. 25).
Die bei einer Alzheimer-Erkrankung feststellbaren neurofibrillären Bündel sind intrazelluläre Ablagerungen von paarigen helikalen Filamenten. Diese bilden sich aus gewöhnlichen Bestandteilen des mikrotubulären Zytoskeletts. Das abnorm phosphorylierte Tau ist eine wesentliche Proteinkomponente der paarigen helikalen Filamente. Es befindet sich im intrazellulären Transportsystem, was zu einer Zerstörung des Zytoskeletts und damit der neuronalen Integrität führt. Die Dichte der neurofibrillären Bündel korreliert zu der Schwere der Demenz (vgl. Stoppe, 2006, S. 25).
Die Interferenz zwischen Amyloid-Plaques und neurofibrillären Bündel ist Thema aktueller Forschungen (vgl. Stoppe, 2006, S. 25).
Bisher konnten aus diesen Forschungen keine therapeutischen Interventionen abgeleitet werden (vgl. Stoppe, 2006, S. 25).
Die für Demenzen im internationalen Kontext entwickelten Kriterien sollen kurz umrissen werden. Die diagnostischen Kriterien für ein Demenz-Syndrom sind durch die DSM-IV (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen, 5. Ausgabe) und die ICD-10 (International Classification of Deseases 10, Internationale Klassifikation für Krankheiten und Todesursachen, 10. Revision) operationalisiert (vgl. Weyerer, 2005, S. 32). Beide Klassifikationen ähneln sich sehr stark, sodass sie an dieser Stelle zusammengefasst dargestellt werden.
Kriterien sind Beeinträchtigungen des Gedächtnisses (Fähigkeit, neue Informationen zu verarbeiten und erlernte Inhalte abzurufen ist vermindert)mindestens eines der Störungsbilder
o Sprachstörung (Aphasie)
o Eingeschränkte Fähigkeit Bewegungen auszuführen, obwohl die Bewegungsfunktionen intakt sind (Apraxie)
o Unfähigkeit, Objekte (Gegenstände) wieder zu erkennen bzw. zu benennen, obgleich die sensorischen Funktionen vorhanden sind (Agnosie)
o Eingeschränkte Fähigkeit zu planen, zu organisieren, Reihenfolgen einzuhalten, zu abstrahieren (Störungen der Exekutivfunktionen)
Weiterhin müssen diese kognitiven Defizite aus 1. und 2. die soziale und berufliche Funktionsfähigkeit beeinträchtigen und eine Verschlechterung zum vorherigen Leistungsniveau darstellen (vgl. Stoppe, 2003, S. 24).
Um die Differentialdiagnose „Alzheimer-Erkrankung“ zu stellen, müssen weitere Kriterien erfüllt sein:
Die Kriterien für die Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) sind nach der ICD-10 und der DSM-IV als Ausschlussdiagnose definiert (vgl. Stoppe, 2006, S. 39). Neben den oben angeführten Kriterien, ist für die Demenz vom Alzheimer Typ ein schleichender, allmählicher Beginn mit leichten Gedächtnisstörungen und fortschreitender Verschlechterung kennzeichnend (vgl. Weyerer, 2005, S. 8, Hauser, 2005, S. 17). Damit von einer Alzheimererkrankung ausgegangen werden kann, muss ausgeschlossen werden, dass die kognitiven Einbußen nicht zurückgeführt werden können auf:
- eine andere Krankheit des zentralen Nervensystems, die fortschreitende Gedächtniseinbußen verursacht (z. B. Hirntumore, subdurale Hämatome [Blutergüsse])
- systemische Erkrankungen, welche eine Demenz bewirken können (z. B. HIV-Infektion)
- Substanzverursachte Erkrankungen (z. B. Korsakoff-Syndrom) (vgl. Stoppe, 2006, S. 39)
- Eine Depression (im Zweifel sollte zunächst eine Behandlung des depressiven Syndroms erfolgen, um festzustellen, ob mit der Stimmungsaufhellung die kognitive Störung nachlässt) (vgl. Gutzmann & Praetorius, 2003, S. 84).
Tritt die Erkrankung bereits vor dem 65. Lebensjahr auf spricht man von einem präsenilen Beginn. Beginnt die Erkrankung erst nach dem 60 bzw. 65. Lebensjahr – in der Regel im Rentenalter – spricht man von senilem Beginn.
Schon zu Beginn der Erkrankung ist die Aufmerksamkeitsleistung beeinträchtigt. Frühe Kennzeichen einer Demenz vom Alzheimer-Typ können sein: Konzentrationsprobleme, Gefühl der Überforderung und rasche Erschöpfbarkeit. Auch depressive Verstimmungen, Antriebsarmut, Interesselosigkeit und unklare Ängste können frühes Anzeichen einer Demenz sein (vgl. Stoppe, 2006, S. 36 f).
Um die Diagnose „Demenz“ zu stellen ist eine ausführliche ärztliche Diagnostik erforderlich. Diese umfasst:
- Die Eigenanamnese und
- Fremdanamnese (Angehörige),
die Fragen nach Gedächtnis, Orientierung, Alltagsaktivitäten, früherer Leistungsfähigkeit und depressiven Symptomen einschließt
- Eine Körperliche Untersuchung
- Eine Neurologische Untersuchung
- Den psychopathologischen Befund
- Testpsychologische Untersuchungen zur Feststellung der Leistungsfähigkeit, wie beispielsweise der Minimal-Mental-Status-Test (MMST), bei dem die kognitiven Funktionen erhoben werden.
- Laborparameter
- Elektrokardiogramm (EKG)
- Elektroenzephalogramm
- Kraniales Computertomogramm (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) (vgl. Weyerer, 2005, S. 9, Stoppe, 2006, S. 50 ff.)
Zweck dieser Untersuchungen ist es vornehmlich, andere Ursachen der Demenz, die behandelt werden können, auszuschließen oder zu erkennen (vgl. Weyerer, 2005, S. 9).
Die genannten Symptome der Demenz gehen also weit über den Verlust geistiger Fähigkeiten hinaus und beeinflussen Wahrnehmung, Verhalten und Erleben der Betroffenen.
Ereignisse und Dinge besitzen in der Welt der Menschen mit Demenz häufig eine andere Bedeutung als in der Welt der so genannten „Gesunden“. Da sich die Betroffenen nur im Anfangsstadium sprachlich mitteilen können, müssen die Bezugspersonen später versuchen, sich in die Situation des kranken Menschen einzufühlen. Ein Schlüssel zum Verständnis für Verhaltensweisen lässt sich dabei in der Biografie des Betroffenen finden (vgl. BMG, 2005, S. 24 f). Nahe Angehörige können hier wichtige Hinweise für den rechtlichen Betreuer geben, einerseits was das Verständnis von Verhalten betrifft, andererseits hinsichtlich der Wünsche und Einstellungen des Menschen mit einer Demenzerkrankung. Wichtig erscheint es, auf einer Gefühls-Ebene zu kommunizieren, indem man sich in die Gefühlswelt des Demenzkranken hineinversetzt (vgl. Trilling & Bruce, 2001, S. 25).
Zu Beginn der Krankheit steht in der Regel eine Verminderung der Merkfähigkeit. Meist merken die Betroffenen den Verlust ihrer Fähigkeiten schneller als das Umfeld. Sie geraten häufig durcheinander, fühlen sich beschämt und verlegen. Ihre Vergesslichkeit versuchen sie z. B. durch Zurückhaltung in Gesprächen zu vertuschen und ziehen sich deshalb nicht selten zurück (vgl. BMG, 2005, s. 34). Als Reaktion auf kognitive Probleme entwickeln Menschen mit einer Demenzerkrankung häufig depressive Symptome (vgl. Weyerer, 2005, S. 16).
Schreitet die Krankheit weiter fort, sind den Betroffenen ihre Gedächtnisstörungen in der Regel nicht mehr bewusst. Dennoch leiden sie weiter an den indirekten Folgen, dem Verlust der Unabhängigkeit. Durch den fortschreitenden Gedächtnisabbau gehen auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses verloren. Daraus resultiert, dass erworbene Fähigkeiten abnehmen und das Sprachvermögen nachlässt. Schließlich kann auch das Wissen über die eigene Person verloren gehen und damit die eigene Identität (BMG, 2005, S. 26, Opitz, 1998, S. 92).
Kommt die rechtliche Betreuerin, die den Betreuten mit einer Demenz schon länger kennt, zu Besuch und weiß – für den Betreuten völlig unerklärlich – alles Mögliche über die Betreute kann dies erschreckend wirken und Angst auslösen. Auch Situationen, die nicht mehr richtig eingeordnet werden können, verursachen große Ängste bei den Betroffenen.
Der Verlust der Urteilsfähigkeit und des Denkvermögens bewirkt weiter, dass Eindrücke und Informationen nicht mehr mithilfe des Verstandes geordnet und verarbeitet werden und keine logischen Schlussfolgerungen mehr getroffen werden können. Deshalb werden Erklärungen gegenüber dem demenzkranken Menschen, die auf Logik beruhen, nicht verstanden. Beispiel: Ein demenzkranker Mensch will nicht mehr richtig essen. Es ist wenig hilfreich, den Betroffenen mit logischen Argumenten zu überzeugen, z. B. Gewichtsabnahme. Stattdessen sollte dem Betroffenen liebevoll begegnet werden und später ein neuer Versuch gestartet werden.
Ebenso wenig können Gründe für das Verhalten und von Gefühlsäußerungen beantwortet werden. Logische Argumente helfen ihnen nicht weiter. Sinnvoller ist es, den Betroffenen auf der Gefühlsebene anzusprechen, Verständnis für seine Situation zu zeigen und gleichzeitig zu beruhigen, z. B empathisch auf ihn einzugehen. Denn bei einer demenziellen Erkrankung lassen zwar Denk- und Erinnerungsvermögen nach, doch Erlebnisfähigkeit und Gefühlserleben bleiben bis zum Tod erhalten (vgl. BMG, 2005, s. 29 f.).
Der Verlust der Kompetenzen kann deshalb besonders schmerzlich erlebt werden, da nicht mit dem Verstand regulierend auf die Gefühle eingewirkt werden kann. So fehlt die Erinnerung an ähnliche Situationen, die erfolgreich bewältigt wurden und damit auch die Hoffnung, dass es wieder bessere Zeiten geben wird (vgl. BMG, 2005, S. 39).
Zunehmend verliert die Wirklichkeit ihren Sinn, mit einfachen Gegenständen kann nichts mehr angefangen werden und Tätigkeiten des Alltags (z. B. Nahrungsaufnahme) können nicht mehr bewerkstelligt werden (vgl. BMG 2005, S. 26 ff).
Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz nehmen auch die Kommunikationsmöglichkeiten immer weiter ab. Im emotionalen Bereich sind dennoch Fähigkeiten vorhanden. Auch die Bereitschaft, auf Außenreize zu reagieren wird durch nachlassende kognitive Fähigkeiten nicht aufgehoben. Selbst wenn die Aussagen von Menschen mit Demenz für ihre Mitmenschen häufig unverständlich wirken und nur einfühlend interpretiert werden können, so wird doch angenommen, dass die „emotionale Kontaktfähigkeit bis zum Lebensende erhalten“ (vgl. Weyerer, 2005, S. 16) bleibt.
Hilfreich ist in der Regel ein Leben in vertrauter Umgebung und mit konstanten Bezugspersonen (vgl. Weyerer, 2005, S. 16).
Ein anderer Zugang zum Krankheitsbild
Die meisten Menschen betrachten es als Katastrophe, an einer Demenz zu erkranken. Diese Einstellung hilft den von einer Demenz betroffenen Menschen jedoch wenig weiter. „Statt die Demenz aber nun als unabänderliches Verhängnis resigniert hinzunehmen, kann man sie auch als Summe unterschiedlicher Behinderungen begreifen. Dann wird deutlich, dass die Einschränkungen und Abbauprozesse individuell stark variieren und in ihren Auswirkungen beeinflussbar sind“ (Trilling & Bruce, 2001, S. 21 [Kursivschrift von der Verfasserin]).
So gibt es Möglichkeiten, die Lebensqualität von Menschen mit einer demenziellen Erkrankung zu erhalten, wenn sich auch die Lebensweise sehr von dem Leben unterscheiden wird, das sie vorher gelebt haben. Vieles nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigt werden können. Auch wenn die hirnorganischen Degenerationsprozesse, die zu einer Demenz führen, nicht aufgehoben werden können, so lassen sich doch deren Folgen mildern (vgl. Trilling & Bruce, 2001, S. 21). Möglichkeiten und Methoden, die Lebensqualität von Menschen mit demenziellen Erkrankungen zu verbessern werden ab Kapitel 3 vorgestellt.
Wenn man Menschen mit Demenz Achtung entgegenbringt, können sie ihre Würde erhalten. Bekommen sie Unterstützung, ihre Fähigkeiten anzuwenden und zu zeigen, erleben sie sich als kompetent. Umgeben von Fürsorge und Liebe fühlen sie sich sicher (vgl. Trilling & Bruce, 2001, S. 23).
Demenzielle Erkrankungen nehmen mit steigendem Alter zu. Dennoch ist das Alter an sich keine Ursache für eine Demenzerkrankung. Unterschiedliche Krankheiten können eine demenzielle Erkrankung verursachen. Nach Ausbruch der Krankheit ist mit einem fortschreitenden Nachlassen der geistigen Fähigkeiten zu rechnen, die auch die Alltagsfähigkeiten beeinträchtigen und damit die selbständige Lebensführung- und Bewältigung immer weiter erschweren. Ressourcen der Betroffenen liegen im Langzeitgedächtnis, Erinnerungen an die Kindheit und der Fähigkeit, besonders auf Melodien und Reime anzusprechen. Für den Umgang ist Verständnis für die Gründe des Verhaltens und damit auch Wissen über das Krankheitsbild, das über rein medizinische Definitionen hinausgeht, ist gerade auch für die Soziale Arbeit bedeutsam.
In diesem Kapitel werden einerseits therapeutische Möglichkeiten zur Linderung einer Demenz diskutiert, andererseits werden finanzielle und sozialrechtliche Möglichkeiten der Unterstützung aufgezeigt. Das Betreuungsrecht wird in einem gesonderten Kapitel vorgestellt.
Da es sich bei demenziellen Erkrankungen um ein „multifaktorielle[s] Geschehen handelt“ (Gutzmann, 2003, S. 68), sollten verschiedene Strategien erprobt und miteinander kombiniert werden. Jede Maßnahme sollte sich jedoch letztlich an der Lebensqualität der Betroffenen und Angehörigen orientieren (vgl. Gutzmann, 2003, S. 69).
In diesem Abschnitt werden einige Ansätze der Pharmakotherapie vorgestellt und diskutiert, denn um als Sozialarbeiterin Betroffene und Angehörige zu beraten und als Berufsbetreuer einer medikamentösen Therapie zuzustimmen - wenn die Betroffene nicht einwilligungsfähig ist – ist dieses Wissen erforderlich.
Es gibt zum einen Ansätze, das kognitive Kernsymptom zu behandeln, zum Anderen die Möglichkeit der Behandlung von Begleitsymptomen/Verhaltensauffälligkeiten.
Behandlung von Begleitsymptomen
Bei den meisten demenziellen Erkrankungen treten neben den kognitiven Kernsymptomen weitere Auffälligkeiten auf (Aggressionen, Ängste, Apathie, Schlafstörungen), die sowohl mit Psychopharmaka als auch mithilfe von Psycho- und Soziotherapie gelindert werden können (vgl. Gutzmann, 2003, S. 51 ff).
Therapie des kognitiven Kernsymptoms bei der Alzheimer-Demenz
Des Weiteren gibt es Ansätze einer Psychopharmakotherapie mit dem Ziel, das kognitive Kernsymptom vor allem bei der Alzheimer-Demenz in seiner Entwicklung zu beeinflussen. Bisher lässt sich der fortschreitende Untergang von Nervenzellen weder verlangsamen noch aufhalten. Da auch die genauen Ursachen noch nicht abschließend erforscht sind, ist derzeit lediglich eine symptomatische Linderung der Leistungseinbußen möglich (vgl. Gutzmann, 2003, S. 57.) Z. B. durch Veränderungen der chemischen Botenstoffe, die durch den Verlust der Nervenzellen entstehen und die Informationsweiterleitung beeinträchtigen können. Durch Hemmstoffe der Cholinesterase (z. B. Donepezil, Ravastigmin, Galantamin [vgl. Gutzmann, 2003, S. 57]) wird der Transmitter Acetylcholin vermehrt, der bei einer Demenz vermindert ist. Dadurch wird die Signalübertragung verbessert (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4). Der hirneigene Botenstoff Acetylcholin hat eine ausschlaggebende Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 28). Die genannten Wirkstoffe sind für die Behandlung leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz zugelassen (Gutzmann, 2003, S. 57).
Die Informationsweiterleitung bei einer mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz kann durch Memantine verbessert werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4, Gutzmann, 2003, S. 57). Dieser Wirkstoff zielt auf eine Minderung der durch Glutamat verursachten Neurotoxizität (vgl. Stoppe, 2006, S. 110).
Bei einem Teil der Menschen mit Demenz führen diese Medikamente offenbar zu einer vorübergehenden Verbesserung von Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit. Durchschnittlich verzögern sie das Fortschreiten der Symptome während eines Zeitraums von sechs bis zwölf Monaten. Anschließend kommt es wieder zu einer Verschlechterung der Symptomatik (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 4).
Bisher gibt es kein Medikament, dass eine primäre Demenz dauerhaft heilt (vgl. Trilling & Bruce et al., 2001, S. 20). Wegen der unklaren Ätiologie der Krankheit ist nicht einmal eine Primärprävention, die direkt an den Ursachen ansetzt, abzusehen (vgl. Gutzmann, 2003, S. 56). Deshalb könnte der Sozialen Arbeit zukünftig eine Schlüsselrolle in der Versorgung und Begleitung von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen und in der Vernetzung verschiedener Dienste und Professionen zukommen.
Umso wichtiger sind psychosoziale Ansätze (s. u.), die stets als Alternative zur medikamentösen Behandlung zu prüfen sind. Neben der medikamentösen Therapie wurden verschiedene soziotherapeutische Methoden für den Umgang mit Menschen mit Demenz entwickelt, die den Alltag erleichtern und die Lebensqualität verbessern sollen.
Es wird als erwiesen angesehen, dass nicht nur für Menschen mit einer Demenz im Frühstadium, sondern auch Menschen mit einer fortgeschrittenen und schweren Demenz von einer Verhaltenstherapie profitieren können. Wirksam ist Verhaltenstherapie vor allem bei aggressiven Verhalten. Auch eine depressive Begleiterkrankung einer Demenz kann psychotherapeutisch erfolgreich behandelt werden (Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29). Ebenso können Elemente der Verhaltenstherapie wie eine einfache Sprache sowie eine stark strukturierte Gesprächsführung hilfreich sein (vgl. Stoppe, 2006, S. 115).
Bei gesunden älteren Menschen können altersbedingte Einbußen durch kognitives Training wieder ausgeglichen werden. Bei Menschen mit einer Demenz sind die Effekte von Gedächtnistraining weniger positiv. Bei schon manifestierter Demenz sind Trainingsmaßnahmen nicht empfehlenswert (vgl. Stoppe, 2006, S. 115), denn der Transfer vom im Training erprobten Inhalten ist in der Regel nicht möglich (vgl. Gutzmann, 2003, S. 64).
Zudem kann durch kognitive Trainings der Stress verstärkt werden. Für pflegende Angehörige ergab sich in Studien weder durch kognitive Trainings noch durch Training von Alltagsaktivitäten der Betroffenen eine Verbesserung oder Erleichterung. Man kann nicht gegen einen demenziellen Prozess antrainieren, sondern deprimiert damit nur die Betroffenen und Trainer (vgl. Gutzmann, 2003, S. 64).
Beachtenswert ist aber, dass das implizite Gedächtnis – es umfasst auf Erfahrung und Übung beruhende Verhaltensänderungen, ohne deren Bewusstmachung – bei einer Demenz weniger beeinträchtigt ist und sich hier am ehesten Lerneffekte zeigen können. Gleiches gilt für das prozedurale Gedächtnis, das Einschleifen motorischer Akte, die aber keine Reflexion einschließen (vgl. Gutzmann, 2003, S. 63).
Das Realitätsorientierungstraining setzt explizit an den krankheitsbedingten Defiziten an. Es ist eine Interventionsstrategie, die auch für schwerere Demenzerkrankungen geeignet ist. Es gibt dabei zwei Modelle:
- Gruppenarbeit, in der grundlegende Informationen zu Ort, Zeit und Person immer wieder wiederholt werden und
- Beim 24-Stunden-Orientierungstraining werden bei jeder Gelegenheit Realitätshinweise gegeben (z. B. „Sie heißen Frau Müller“ oder „wir haben heute Samstag, den 1. November“), sowohl im direkten Kontakt als auch durch visuelle Informationen (Hinweisschilder).
Häufig werden beide Modelle kombiniert angewendet (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65).
Beim Gruppentraining konnten zwar Fragen nach „Wer? Wann? Wo?“ besser beantwortet werden, doch die örtliche Orientierung verbesserte sich ebenso wenig wie verschiedene Verhaltensstörungen. Beim 24-Stunden-Training scheinen die Erfolge etwas besser, beruhen aber vor allem auf der verstärkten sozialen Interaktion (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65). Kritisch wird vor allem die Tatsache bewertet, dass das ROT Menschen mit Demenz kontinuierlich mit ihren Defiziten konfrontiere. Eine Wirksamkeit konnte allenfalls bei leichten Demenzen festgestellt werden (vgl. Stoppe, 2006, S. 116).
Dies sind Verfahren, die über taktile, olfaktorische, akustische oder optische Reize versuchen, besonders Menschen mit schwerer Demenz zu erreichen (vgl. Stoppe, 2006, S. 118). Dazu zählen:
- Snoezeln, das in der Regel in speziell eingerichteten Räumen stattfindet. Geräusche, Licht, Gerüche und Materialien zum Berühren sorgen für eine angenehme Atmosphäre und sollen die Kommunikation erleichtern
- Basale Stimulation beruht auf der Annahme, dass schwerstbehinderte Menschen auf Sinnesreize reagieren. Durch regelmäßige Therapeutische Stimulation kann Isolation und damit Deprivation und Reizlosigkeit verhindert werden. Praktisch werden zur Stimulation z. B. süße, salzige oder saure Nahrungsmittel oder kräftige Gerüche eingesetzt. Mit Massagen und Lagerungen können sensorische und muskuloskeletale Wahrnehmungen ausgelöst werden. Es sollte jedoch darauf geachtet werden, dass aber keine Reizüberflutung stattfindet.
- Aromatherapie mit Melisse, zu der eine Studie durchgeführt wurde. Diese Therapie findet allerdings noch keine breite Anwendung.
- Kinästhetik konzentriert sich auf Bewegungsempfindungen, basierend auf Erkenntnissen der humanistischen Psychologie, Verhaltenskybernetik und Tanz- und Körpertherapeutischen Ansätzen. Bewegungsabläufe werden bei diesem Verfahren so gestaltet, dass das Orientierungs- und Bewegungsgefühl des Demenzkranken stimuliert wird
Die Milieutherapie versucht, die Umgebung an den Demenzprozess anzupassen. Dabei wird sowohl am kranken Menschen selbst, als auch an seinem sozialen Umfeld, dem Wohn- und Lebensraum und den Betreuungsbedingungen angesetzt. Dazu werden visuelle Orientierungshilfen eingesetzt. Die Beleuchtung sollte z. B. immer ausreichend sein. Auch Erinnerungszimmer können eingerichtet werden, die in gleichem Zustand bleiben und die Menschen erleben können, dass manche Dinge sich nicht verändern (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29).
1.1.2.5.2 Selbsterhaltungstherapie (SET)
Die Selbsterhaltungstherapie ist ein neuropsychologisches Trainingsverfahren, das auf eine (längere) Erhaltung der personalen Identität setzt. Es knüpft im Gegensatz zum ROT nicht an den Defiziten an, sondern setzt an den individuell weniger beeinträchtigten Kompetenzen an.
„Nicht Selbst-Korrektur sondern Selbst-Erhalt werden angestrebt“ (vgl. Gutzmann, 2003, S. 66). Denn das Konstrukt des „Selbst“ ist durch die Demenz stark gefährdet. Da das Wissen über die eigene Person verloren geht, schwindet allmählich auch die eigene Identität. Spezielle Übungsprogramme, die Elemente der Erinnerungstherapie und Validation (siehe unten) verbinden, werden dazu angewandt. Es werden Erinnerungshilfen wie Lieder, Fotoalben usw. eingesetzt sowie Gewohnheiten und frühere Gewohnheiten berücksichtigt. Hilfestellung wird nur so viel wie nötig geleistet, damit die Selbständigkeit erhalten bleibt und das Selbstwertgefühl gefördert wird. Bestätigende Rückmeldungen sollen dazu führen, dass sich die Betroffenen an Aktivitäten ohne Misserfolgserlebnisse beteiligen (vgl. Hauser, 2005, S. 42 f). Die Stabilisierung des Selbst sollte dabei durch eine konstante Bezugsperson unterstützt werden um dem Ziel der „Erhaltung eines tragenden Selbst“ (Romero & Wenz, 1999, S. 116. Zitiert in: Hauser, 2005, S. 43). Außerdem soll das Gefühl vermittelt werden, dass das Leben auch mit Einschränkungen einen Sinn hat (vgl. Hauser, 2005, S. 43).
1.1.2.5.3 Biographiearbeit/Erinnerungspflege
Vorrangiges Ziel biographischer Methoden ist es, die personale Identität möglichst lange aufrechtzuerhalten, indem die Erinnerung an die eigene Lebensgeschichte aktiviert wird. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass das semantische Gedächtnis (Langzeitgedächtnis) relativ lange erhalten bleibt. Verschiedene Aktivitäten, z. B. das gemeinsame Singen von Liedern, gewohnte Spaziergänge, Fotos anschauen, das Essen eines Lieblingsessens usw. können die Erinnerungen lebendig halten (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30). Übergeordnetes Ziel dabei ist es, über die Vergangenheiten mit anderen in Beziehung zu treten. Selbstbewusstsein, Freude und Gemeinsamkeit können so ins Leben gebracht werden (vgl. Trilling & Bruce, 2001, S. 45 f.) und die Lebensqualität verbessern (vgl. Gutzmann, 2003, S. 65).
Daneben kann die Lebensgeschichte eines Menschen den Schlüssel zum Verständnis von Verhalten liefern. Wenn man die Biographie des Betroffenen kennt, kann man seinen Bedürfnissen gerechter werden (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).
1.1.2.5.4 Validation
Die Validationstherapie, entwickelt von Naomi Feil (2000), stellt eine besondere Kommunikationsform dar, um mit Menschen mit einer Demenz (die Methode wurde primär für Alzheimerpatienten entwickelt) in Kontakt zu treten. Sie beinhaltet eine Grundhaltung gegenüber den Betroffenen, die auf bestimmten Prinzipien, Werten beruht (vgl. Feil, 2000, S. 42 f.). Die Erlebniswelten und Sichtweisen der Menschen mit Demenz werden dabei als real anerkannt und es wird auf eine Realitätsorientierung verzichtet. Statt zu widersprechen wird die Person durch Verbalisieren von Gefühlen wertgeschätzt. Durch diese Wertschätzung des verwirrten Menschen kann Stress abgebaut und die Lebensqualität gesteigert werden (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).
1.1.2.5.5 Angehörigenbetreuung und Beratung
Der überwiegende Teil (80 – 90 % [vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29]) der Menschen mit einer Demenzerkrankung wird zu Hause versorgt. Viele Angehörige kommen dabei an ihre psychischen und körperlichen Grenzen, ziehen sich aus ihrem bisherigen sozialen Leben zurück und wissen kaum über Hilfsmöglichkeiten Bescheid. Sozialarbeiterinnen können dabei Hilfsangebote machen, die
- primär auf den kranken Menschen bezogen sind:
Hier können Informationen über externe Hilfen gegeben werden, wie z. B. ambulante Dienste, Pflegestätten (Tagespflege) und Kurzzeitpflege um z. B. einen Urlaub zur Erholung zu machen.
- in erster Linie auf die pflegenden Angehörigen bezogen sind
Häufig opfern sich Angehörige sehr stark für die Pflege, geben manchmal sogar ihren Beruf auf und haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht ständig für den Angehörigen zur Verfügung stehen. Soziale Isolation ist deshalb eine fast zwangsläufige Folge. Auch Depressionen sind nicht selten. In Angehörigengruppen können sich pflegende Angehörige mit Menschen in einer ähnlichen Lebenslage austauschen und merken, dass sie nicht alleine sind. Dies kann äußerst entlastend wirken (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 29).
Sozialarbeiterinnen können in der Arbeit mit Angehörigen zur gezielten Gesundheitsförderung mit dem Ziel der Belastungsverarbeitung beitragen. Interventionsmöglichkeiten können dabei Einzel-, Familien- und Gruppenberatung sein (vgl. Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 30).
In der Behandlung von Demenzen und der Begleitung von Menschen mit Demenz sind Sozialarbeiterinnen unter Integration der oben beschriebenen soziotherapeutischen Methoden vor allem für zuständig für:
- Die bereits beschriebene Angehörigenarbeit sowie die Aufklärung der Angehörigen über demenzielle Erkrankungen, damit sie besser mit der Krankheit umgehen können.
- Supervision: häufig ist das Pflegepersonal überfordert und immer wieder tauchen Berichte über Misshandlungen alter Menschen auf. Der Umgang mit Menschen mit Demenz kann tatsächlich sehr anstrengend und schwierig sein. Nicht selten fehlt aufgrund von personellen Engpässen die Zeit, um sich mit den kranken Menschen zu beschäftigen und Verhaltensauffälligkeiten zu verstehen. Sozialarbeiter können an dieser Stelle mittels der Supervision unterstützend wirken, indem sie gemeinsam mit Pflegepersonal die Gründe für bestimmte Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz erarbeiten und Strategien entwickeln, wie mit Stress-Situationen und schwierigen Verhalten umgegangen werden kann.
- Öffentlichkeitsarbeit, denn die Öffentlichkeit ist nur unzureichend und einseitig über Demenzerkrankungen informiert. Dabei werden demenzkranke Menschen „als hilfloses, desorientiertes, retardiertes Wesen, das am Besten in Heimen untergebracht ist, gesehen“ (Schulz-Hausgenoss, 2004, S. 32). Soziale Arbeit kann hier Vorurteile beseitigen, um stattdessen ein realistisches Bild über Menschen mit einer Demenz zu verbreiten und damit der Isolation von Demenzkranken vorzubeugen.
- die Schaffung sozialer Netzwerke. Durch die Vermittlung angemessener, flankierender Hilfen, kann die gewohnte Lebenssituation erhalten bleiben. Zudem kann durch rechtzeitige Beratung einer Überlastung von Angehörigen vorgebeugt werden und bei Bedarf können geeignete Wohnformen vermittelt werden
Die materielle Sicherung des Lebens von Menschen mit einer Demenz stellt eine wichtige Basis für weitere Hilfsmaßnahmen dar. Deshalb ist es für Sozialarbeiterinnen wichtig, diese Möglichkeiten zu kennen.
Für Behandlung, Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz können gesetzliche Ansprüche auf Sozialleistungen/Versicherungsleistungen geltend gemacht werden. Neben der Rentenversicherung zählen Pflegekassen, Krankenkassen und das Grundsicherungsamt zu den wichtigsten Trägern dieser Leistungen. Es soll hier lediglich ein kurzer Überblick über mögliche Leistungen gegeben, da im Zentrum dieser Arbeit die rechtliche Betreuung als mögliche Unterstützung steht. Für den Betreuer ist es jedoch wichtig, über die Versorgungsmöglichkeiten informiert zu sein. Es wird ein kurzer Überblick über mögliche Sozialleistungen und rechtliche Belange gegeben, die als Orientierung dienen soll, damit sich ein Betreuer im Dschungel der Paragraphen zurechtfindet. Auf Details wird dabei bewusst verzichtet und lediglich aufgezeigt, welche Ansprüche es gibt und wo diese geregelt sind.
Zunächst soll ein Überblick über die Versorgungsstruktur der Hilfen des Sozialrechts für Demenzkranke gegeben werden. Dabei werden zunächst grundlegenden Prinzipen des Sozialversicherungssystems dargestellt:
Zum einen das Kausalitätsprinzip, das nach der Ursache des Hilfebedarfs fragt und entscheidend für die Zuständigkeit des Leistungsträgers ist (z. B. die Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen). Zum anderen das Finalitätsprinzip, bei dem das Ziel der Leistungen in den Vordergrund gerückt wird; unabhängig von der Ursache werden Leistungen im Eintritt des Bedarfsfalls gewährleistet (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 33).
Weitere Strukturmerkmale sind:
- das Versicherungsprinzip, nach dem die Mitgliedschaft im Falle des Bedarfs den Anspruch auf Leistungen begründet (z. B. bei der Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung)
- das Versorgungsprinzip ist überwiegend bei gesundheitlichen Schäden von „Sonderopfern“ ausschlaggebend (z. B. bei Wehrdienstschäden)
- das Fürsorgeprinzip stellt staatlich finanzierte Leistungen zur Verfügung, sofern kein Anspruch auf Versicherungs- und Versorgungsleistungen besteht und die Eigenmittel der Betroffenen nicht ausreichen (Leistungen nach dem SGB II und XII)
(vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 33).
Die folgende Tabelle (übernommen aus Brill & Marschner, 2005, S. 34) mit eigenen Ergänzungen (nach SGB) verdeutlicht das System der Leistungszuständigkeiten und ihre Rangfolge für „Behandlung, Rehabilitation, und Teilhabe, Pflege“ (Brill & Marschner, 2005, S. 34):
Bedarf bei:KrankheitBestehender oder drohender BehinderungPflegebedürftigkeit Leistungen: Kranken-behandlung Medizinische Rehabilitation Teilhabe am Arbeitsleben Teilhabe am Leben in der Gesellschaft SGB VI Pflege Vorrangig zuständig: Kranken-versiche-rung
SGB V Rentenver-sicherung SGB VI Krankenver-sicherung SGB V Rentenver-sicherung SGB VI
Arbeitsförde-rung SGB II Pflegeversicherung
SGB XII Nachrangig Zuständig: Sozialhilfe SGB XII Sozialhilfe
Grundlage für die gesetzliche Krankenversicherung sind die Regelungen des SGB V. Danach ist ambulanten Hilfen der Vorrang gegenüber stationären Hilfen zu gewähren (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 48). Weiteres Prinzip ist das der Prävention vor Heilung. Im SGB V spiegelt sich dies auch in den verschiedenen Leistungsarten wider: Prävention und Selbsthilfe (§ 20 SGB V), Verhütung von Krankheiten und Vorsorge (§§ 21 – 24 SGB V), Früherkennung (§§ 25 und 26 SGB V), Behandlung von Krankheiten (§§ 27 – 43b SGB V). Die Leistungen der Behandlung umfassen die notwendige ärztliche Behandlung, einschließlich Psychotherapie, zahnärztliche Behandlungen, Versorgung mit Zahnersatz, „Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln (…), häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, (…) Krankenhausbehandlung, (…) Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen“ (§ 27, 1 SGB V). Dabei ist den „besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation“ (§ 27, 1 S. 3).
Infolge der Sparpolitik der vergangenen Jahre sind die Zuzahlungen der Versicherten bei Arztbesuchen, Arzneimitteln, Krankenhausbehandlung, Rehabilitationsmaßnahmen und Heilmitteln erheblich gestiegen. Seit 2004 gibt es keine vollständige Zuzahlungsbefreiung mehr, sondern nur noch so genannte Härtefallregelungen für Menschen mit geringeren Einkommen (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 49).
Belastungsgrenze: niemand, der gesetzlich krankenversichert ist, muss für Versicherungsleistungen mehr als 2 % des Bruttojahreseinkommens Eigenbeteiligung einbringen (§ 62 SGB V). Eine Sonderregelung gilt für Menschen mit chronischen Krankheiten, wozu auch eine Demenz gezählt werden kann: wer „wegen derselben schwerwiegenden Erkrankung in Dauerbehandlung ist, muss nicht mehr als ein Prozent des Bruttoeinkommens leisten. Eine schwerwiegende chronische Krankheit liegt vor, wenn sie wenigstens ein Jahr lang einmal pro Quartal ärztlich behandelt wurde“ (Brill & Marschner, 2005, S. 49). Zudem muss eines der folgenden Kriterien erfüllt sein:
- wenigstens Pflegestufe II nach SGB XII oder
- Grad der Behinderung von 60 % oder mehr oder
- eine Verschlimmerung der Erkrankung, die lebensbedrohlich ist, eine geringere Lebenserwartung oder eine kontinuierlich beeinträchtigte Lebensqualität zu erwarten ist
(vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 49).
Vorraussetzung, um die teilweise Zuzahlungsbefreiung zu beanspruchen ist, dass die Betroffene bzw. die Betreuerin als gesetzliche Vertreterin (§ 1902 BGB) die geleisteten Zuzahlungen durch Belege (Quittungen) nachweist und der Krankenkasse vorzeigt. Über die Belastungsgrenze hinaus geleistete Zahlungen können dann rückerstattet werden oder eine Befreiungsbescheinigung ausgestellt werden, wenn die Belastungsgrenze erreicht ist (vgl. Brill & Marschner, 2006, S. 50). Für Menschen, die in Einrichtungen leben und Sozialhilfe beziehen und nur den Barbetrag (Taschengeld) zur Verfügung haben, übernimmt der Sozialhilfeträger die Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze als Darlehen (vgl. § 35, 3 SGB XII). Einer übermäßigen Belastung zum Jahresbeginn soll damit vorgebeugt werden (vgl. Brill & Marschner, 2005, S. 50).
Die Pflegeversicherung ist eine „Teilkaskoversicherung“, die Leistungen für Pflegebedürftige Personen bis zu einer bestimmten Höhe übernimmt.
Die Pflegebedürftigkeit ist in § 14 SGB XI definiert. Demnach gelten „Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichen oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen“ (Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005) . Es gibt Leistungen innerhalb von drei Pflegestufen (vgl. § 15 SGB XI), die von der Dauer der benötigten Hilfe abhängen. Dabei gibt es vordefinierte Zeiten für jede Leistung, z. B. Waschen. Soll aber bei der pflegebedürftigen Person die Selbständigkeit erhalten werden, indem man sie möglichst viel selbst machen lässt, dauert die Pflege u. U. länger. Leistungen werden aber nur für die vorgegebene Zeit gezahlt. Weiter ist in § 15 SGB XI, § 3 Nr. 1 – 3 definiert, wie viel Pflege (in Minuten) notwendig ist, um in die jeweilige Pflegestufe eingestuft zu werden.
Innerhalb der Pflegestufen wird noch einmal unterschieden zwischen ambulanter (§ 36 ff. SGB XI), teilstationärer (§ 41 SGB XI) und vollstationärer (§ 43 ff. SGB XI) Pflege.
Bei der häuslichen Pflege kann man wählen zwischen Sachleistung (§ 36 SGB XI), d. h. die Pflege wird von einem Pflegedienst ausgeführt, der einen Versorgungsvertrag mit der Kasse abgeschlossen hat und direkt von der Pflegeversicherung (plus Zuzahlung der Betroffenen) bezahlt wird. Und zwischen der geringeren Geldleistung/Pflegegeld (§ 37 SGB XI), wenn die Pflege durch die Familie oder andere Personen übernommen werden soll. Auch eine Kombination von Pflegesachleistung und Pflegegeld ist möglich und wird prozentual berechnet (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 89 f., Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005, S. 333 ff.).
Daneben können Leistungen der so genannten „Verhinderungspflege“ (§ 39 SGB XI) in Anspruch genommen werden, wenn die Pflegeperson durch Krankheit oder Erholungsurlaub verhindert ist (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 90).
Zusätzlich kann aus den gleichen Gründen wie bei der Verhinderungspflege einmal jährlich maximal vier Wochen „Kurzzeitpflege“ (§ 42 SGB XI) gewährt werden.
Subsidiär zu anderen Leistungen, z. B. durch die Krankenversicherung (SGB V), können nach § 49 SGB XI auch „Pflegehilfsmittel und technische Hilfen“ in Anspruch genommen werden.
Ergänzend zu den Leistungen der Pflegeversicherung kann subsidiär (d. h. wenn alle anderen Hilfen ausgeschöpft sind) Hilfe zur Pflege nach SGB XII §§ 61 ff in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist, dass die Leistungen der Pflegeversicherung nicht genügen, um die Kosten zu decken und kein ausreichendes Einkommen zur Finanzierung der Pflege vorhanden ist. Dabei muss eigenes Einkommen und Vermögen zunächst eingebracht werden. Die Einkommensgrenze ist in § 85 SGB XII festgelegt. Der Antrag auf Hilfe zur Pflege wird beim Grundsicherungsamt gestellt.
Ziel des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes (Pflegt) ist es, den Pflegebedürftigen, die einen hohen Bedarf an „allgemeiner Betreuung und Beaufsichtigung“ (vgl. Alzheimer Angehörigeninitiative, 2004) haben, mehr Unterstützung zu ermöglichen.
Ergänzend zu den Leistungen nach Pflegestufen können für Pflegebedürftige seit 2002 - die nicht dauerhaft in einer stationären Pflegeeinrichtung leben - zu den regulären Leistungen der Pflegeversicherung bis zu 460 € pro Kalenderjahr zusätzlich beantragt werden. Ungedeckte Kosten für Kurzzeit-, Tages- oder Nachtpflege und Angebote der allgemeinen Betreuung und Anleitung der Pflegedienste (keine grundpflegerischen oder hauswirtschaftlichen Leistungen) können damit zweckgebunden finanziert werden. Auch anerkannte regionale Betreuungs- und Entlastungsangebote (Modellprojekte niedrigschwelliger Betreuungsangebote) können nach Vorlage von Belegen auf diese Weise finanziert werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 90). Dies können z. B. Betreuungsgruppen für Menschen mit Demenz, Angehörigengruppen oder niedrigschwellige Betreuungsangebote sein. Demenzkranke, bei denen keine Pflegestufe anerkannt wurde, bekommen nach wie vor keine Unterstützung (vgl. Alzheimer Angehörigeninitiative, 2004) bzw. müssen diese selbst finanzieren.
Ab einem gewissen Schweregrad kann eine Demenzerkrankung als Schwerbehinderung nach SGB IX anerkannt werden (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 93). Demnach sind Menschen behindert, „wenn ihre körperlich Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (§ 2, 1 SGB IX, Sozialhilfe. Grundsicherung, 2005, S. 257). Wenn ein Grad der Behinderung von mindestens 50 % festgestellt wird, gelten sie als schwer behindert (§ 2, 2 SGB IX). Auf Antrag, der beim Versorgungsamt gestellt werden muss, kann der Grad der Behinderung (GdB) ermittelt werden (§ 69, 1 SGB IX). Ein Ausweis wird nach erfolgter Feststellung der Behinderung auf Antrag ausgestellt (§ 69, 5 SGB IX).
Neben dem Grad der Behinderung können Merkmale der Behinderung beantragt werden:
- H für Hilflosigkeit, wenn Behinderte dauerhaft für die Verrichtungen des täglichen Lebens fremde Hilfe benötigen. Ermöglicht die unentgeltlich Beförderung im ÖPNV;
- G für Gehbehinderung/Bewegungseinschränkung aufgrund örtlicher Desorientierung;
- B für notwendige Begleitung zur Vermeidung von Gefahren;
- RF für die Befreiung von Rundfunkgebühren, sofern z. B. wegen krankheitsbedingtem störenden Verhalten nicht mehr an öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen werden kann (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 93, Kraus, 2003, S. 283 ff.).
Der Schwerbehindertenausweis ermöglicht eine Reihe von Vorteilen z. B. steuerliche Erleichterungen, kostenlose Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Merkmal G) vergünstigte Eintritte in öffentliche Einrichtungen (Museen, Schwimmbäder), Befreiung von Rundfunkgebühren und Vergünstigung beim Telefon (Merkmal RF) (vgl. Alzheimer Europe, 2005, S. 94).